Priestertum und Zölibat

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Das durch die Weihe konstituierte sakramentale Priestertum hat seine primäre Zielausrichtung (causa finalis) in der Darbringung des eucharistischen Opfers. Durch die Weihe empfängt der Priester die Vollmacht, in der oblatio der Opfergaben, die aus dem Schoß der Kirche Gott dargebracht werden und in denen die Kirche in ihren Gliedern mitrepräsentiert ist, in persona Christi deren Übergang in den Leib Christi zu erwirken. Die Wandlung der Gaben von Brot und Wein in den geopferten Christus totus verdankt sich dem im hic et nunc der Eucharistiefeier artikulierten Einsetzungsworten.
Dem Priester ist es aufgetragen, immer mehr in die Hingabehaltung Christi hineinzuwachsen, um auch im persönlichen Lebensvollzug ein alter Christus zu werden. Sacerdotem oportet offerre – so wurde nach traditionellem Diktum die zentrale Aufgabe des Priesters charakterisiert. schon das Konzil von Trient erklärte gegenüber den abweichenden Ansichten der Reformatoren, dass es im Neuen Bund ein sichtbares und äußeres Priestertum gibt, bevollmächtigt, Leib und Blut des Herrn zu konsekrieren und darzubringen und obendrein die Sünden zu vergeben.[1] Durch göttliche Anordnung gibt es die kirchliche Hierarchie, die aus Bischöfen, Priestern und Diakonen besteht.[2]

Das Tridentinum bringt die Sakramentalität der Priesterweihe zum Ausdruck, indem es feststellt, dass der Weihestand bzw. die heilige Ordination ein eigentliches, von Christus eingesetztes Sakrament ist. Die Sakramentalität aller drei Weihestufen ist dann durch die apostolische Konstitution Sacramentum Ordinis Pius’ XII. bestätigt worden.[3]
Das Weihesakrament verleiht dem Empfänger eine dauernde sakramentale Vollmacht. es befähigt zur aktiven Teilnahme am Priestertum Christi, verähnlicht den Empfänger mit Christus, dem ewigen Hohepriester, und befähigt ihn zur Ausübung der hierarchischen Vollmacht der betreffenden Stufe des Ordo. Dabei konzentrieren sich die sakramentalen Vollmachten, die in den einzelnen Weihestufen übertragen werden, vornehmlich um die heilige Eucharistie. Da jede Weihestufe auf das eucharistische Opfer hingeordnet ist, weist der Bischof nach den Vorgaben von Trient unter rein sakramentalem Gesichtspunkt keine höhere potestas auf als der Priester. unter diesem Aspekt ist das Bischofsamt daher eigenes Sakrament.[4]

Somit ist der Träger des Weihesakramentes der Priester in seiner Hinbeziehung zum Messopfer, durch die er auch seinsmäßig an Christus angeglichen und dadurch zum Handeln im Namen Christi und der Kirche befähigt ist – durch die Verähnlichung mit Christus in seinem Opfertod und seinem Erlösungswerk. „Die Christusähnlichkeit des Geweihten ist zuhöchst dadurch bestimmt, dass er dem sich in der Opfertat des Todes hingebenden Christus gleichgestaltet wird. (…) In ihm stellt sich Christus selbst dar. Die Weihe ist daher eine Offenbarung Christi in der Kirche.“[5]

Nach Thomas von Aquin müssen die Diener Christi Menschen sein und in einem bestimmten Sinn (quodammodo) an seiner Gottheit teilhaben.[6] Alter Christus – der Priester ist im Vollsinn des Wortes ein anderer Christus. Was Christus aufgrund der hypostatischen Union bewirkt, setzt sich in ihnen fort.[7] In dieser seinsmäßigen Verähnlichung mit Christus besteht auch die Grundlegung des priesterlichen Zölibats, der dadurch zu einer Wesenseigenschaft der priesterlichen Existenz wird.
Zwischen Priestertum, Vollzug des eucharistischen Opfers und Zölibat besteht ein intrinsischer Zusammenhang, eine Wesensverwandtschaft. Sie liegt begründet im göttlichen Stifterwillen Christi gegenüber der Kirche und findet in der Tradition der lateinischen Kirche ihren ungebrochenen Ausdruck.

Auf diesen Zusammenhang heben die Ausführungen Benedikts XVI. in seinem Aufsatz „Das katholische Priestertum“ ab.[8] Papst Benedikt rekurriert auf die Geschichte Israels, in der es eine sexuelle Enthaltsamkeit der Priester gab, wenn sie sich auf die Darbringung des Opfers im Tempel vorbereiteten.[9] Es war eine Enthaltsamkeit auf Zeit, die dem Kult entsprach. Darum waren Ehe und Priestertum miteinander vereinbar.[10]
Wo er auf das Priestertum des Neuen Bundes zu sprechen kommt, sagt er: „Für die Priester der Kirche Jesu Christi war die Situation durch die regelmäßige oder in vielen Teilen tägliche Eucharistiefeier grundsätzlich verändert. Ihr ganzes Leben steht in der Berührung mit dem göttlichen Geheimnis und verlangt so eine Ausschließlichkeit für Gott, die eine andere, das ganze Leben umgreifende Bindung wie die Ehe neben sich ausschließt. Aus der täglichen Eucharistiefeier und aus dem umfassenden Dienst für Gott, der darin mitgegeben ist, ergab sich die Unmöglichkeit einer ehelichen Bindung von selbst. Man könnte sagen, die funktionale Enthaltsamkeit war von selbst zu einer ontologischen geworden. Damit war von innen her ihre Begründung und Sinngebung verändert.
Heute drängt sich dagegen sofort der Einwand auf, dass es sich dabei um eine negative Einschätzung des Leibes und der Sexualität handle. Der Vorwurf, der priesterlichen Ehelosigkeit liege ein manichäisches Weltbild zugrunde, wurde schon im 4. Jahrhundert erhoben, aber von den Vätern sofort mit Entschiedenheit zurückgewiesen und ist dann auch für einige Zeit verstummt. Eine solche Diagnose ist schon deshalb falsch, weil in der Kirche die Ehe von Anfang an als eine von Gott im Paradies geschenkte Gabe betrachtet wurde. Aber sie nahm den Menschen als ganzen in Anspruch und der Dienst für den Herrn beanspruchte ebenfalls den Menschen ganz, so dass beide Berufungen zugleich nicht realisierbar erschienen. So war die Fähigkeit, auf die Ehe zu verzichten, um ganz für den Herrn da zu sein, zu einem Kriterium für den priesterlichen Dienst geworden.“[11]

Der Vergleich mit der auf bestimmte Zeiten beschränkten funktionalen Abstinenz (des Alten Testaments) lässt eine „ontologische“ Enthaltsamkeit im Priestertum der frühen Kirche hervortreten. Es geht dabei um das Sein, nicht nur um das fallweise ausüben einer Funktion oder eine größere Verfügbarkeit für die Gemeinde. Die regelmäßige oder sogar tägliche Feier der Eucharistie entwickelte sich schon früh in der Kirche, woraus sich ergab, die Enthaltsamkeit nicht nur periodisch, sondern durchgängig zu üben.
Mit Hinweis auf nähere Belege bei Stefan Heid sagt Papst Benedikt darüber: „Zur konkreten Gestalt des Zölibats in der alten Kirche ist noch anzumerken, dass verheiratete Priester die Weihe empfangen konnten, wenn sie sich zur sexuellen Abstinenz verpflichteten, das heißt eine sogenannte Josefsehe eingingen. Dies scheint in den ersten Jahrhunderten normal gewesen zu sein.“[12]

Wie sich der Opferkult des Alten Testaments im Kreuzesopfer erfüllt, so findet das alttestamentliche Priestertum im Hohepriester Christus seine vollendete Gestalt.[13]
„Das Kreuz Jesu Christi ist der Akt der radikalen Liebe, in dem sich die Versöhnung zwischen Gott und der sündigen Welt real vollzieht. Deswegen ist dieses an sich auf keine Weise kultische Geschehen dennoch die höchste Verehrung Gottes. Im Kreuz ist katabatische Linie des Absteigens Gottes und die anabatische Linie der Hingabe der Menschheit an Gott zu einem einzigen Akt geworden, der den neuen Tempel seines Leibes in der Auferstehung ermöglich hat. In der Feier der Eucharistie wird immer wieder die Kirche, ja die Menschheit, in diesen Vorgang hineingezogen.“[14]
Dies legt es nahe, die priesterliche Sendung Jesu als intrinsisch (von ihrem Wesen her) mit seiner Ehelosigkeit verbunden zu denken. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die grundlegende Aussage Benedikts XVI. in seinem Apostolischen Schreiben Sacramentum Caritatis (2007): „Die Tatsache, dass Christus, der ewige Hohepriester, selber seine Sendung bis zum Kreuzesopfer im Stand der Jungfräulichkeit gelebt hat, bietet einen sicheren Anhaltspunkt, um den Sinn der Tradition der lateinischen Kirche in dieser Frage zu erfassen.“[15]

Es würde daher zu kurz greifen, würde man in der Zölibatsverpflichtung nur eine äußere Bestimmung des Kirchenrechts erblicken, die das Wesen des Priestertums nicht tangiert. Wie die angeführten historischen und systematisch-christologischen Argumente zeigen, geht es um einen „ontologischen“ Zusammenhang.

25. Juni 2023

Prof. Dr. habil. Michael Stickelbroeck

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[1] Vgl. DH 1771.
[2] Vgl. DH 1776.
[3] Vgl. DH 3857–3861.
[4] Die Weiterentwicklung der Lehre durch LG 21b, die eine sakramental begründete Vorordnung des Bischofsamtes bedingt, kann hier nicht diskutiert werden. Ich verweise auf die ausführliche und detaillierte Darstellung bei Menke. Vgl. ders., Sakramentalität, 200–207.
[5] M. Schmaus, Katholische Dogmatik, Vierter Band, erster Halbband: Die Lehre von den Sakramenten, München 1957, 664.
[6] Vgl. Thomas von Aquin, ScG. IV, 74.
[7] G. Waste geht in ihrem Beitrag so weit, bei den priesterlichen Vollmachten von einer „seinsmäßigen Abbildlichkeit der hypostatischen Union“ zu sprechen. Sie entwickelt eine spekulative Ableitung der priesterlichen Vollzüge aus der Anwendung der Lehre von Akt und Potenz, wobei sie den Priester in seinem agere in persona Christi auf die Seite der „reinen Aktualität Gottes“ rückt. Die eucharistische Wandlung steht für sie in Analogie zur innergöttlichen Hervorbringung des Wortes. Vgl. G. Waste, „Der Zölibat. Ein Seinsgesetz des Priestertums“, in: Dienst am Glauben 3 (2018) 67–96, bes. 88–92; vgl. ders., Der Zölibat. Ein Seinsgesetz des Priestertums, Kulmbach 2020.
[8] Vgl. Papst Benedikt XVI., „Das katholische Priestertum“, in: R. Sarah, Aus der Tiefe des Herzens: Priestertum, Zölibat und die Krise der katholischen Kirche. Mit einem Beitrag von Benedikt XVI., Kisslegg 2020, 25–56.
[9] Vgl. ebd., 41, Anm. 5.
[10] Vgl. ebd., 39 f.
[11] Ebd., 40 f.
[12] Ebd., 41.
[13] Vgl. Papst Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, II, Freiburg 2011, 54–56.
[14] Papst Benedikt XVI., Das katholische Priestertum, 35.
[15] Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, 177, 39.