Ein epochaler Akt für das Leben der Kirche

Papst Benedikt XVI. in Fatima
Foto: Grzegorz Galazka

In der gegenwärtigen Entscheidungsstunde für die Kirche ist das Verständnis der vorangegangenen Weichenstellung unbedingt notwendig. Der historische Schritt, den Papst Benedikt XVI. mit seiner Declaratio vom 11. Februar 2013 vollzogen hat, ist von dermaßen großer Bedeutung, dass er noch eingehender reflektiert und in seiner ganzen Tragweite erkannt werden muss.

In der Analyse des lateinischen Textes ist die ostentative Unterscheidung zwischen munus und ministerium überaus deutlich geworden. Der Pontifex führte in seiner Reflexion über die Bereiche des Petrusamtes aus, dass selbiges nicht nur durch Taten und Worte (agendo et loquendo) zu erfüllen sei, sondern nicht weniger (non minus) durch Leiden und Gebet (patiendo et orando). An dieser zweiten Dimension, die er als wesensmäßig für das munus Petrinum bezeichnete, wollte er expressis verbis festhalten. So erklärte er die Intention seines Schrittes nachdrücklich: „Es ist eine andere Weise, auch dem leidenden Herrn verbunden zu bleiben, in der Stille des Schweigens, in der Größe und Intensität des Betens für die ganze Kirche. Insofern ist der Schritt keine Flucht, sondern eben eine andere Weise, meinem Dienst treu zu bleiben.“[1]

Papst Benedikt gab bei der letzten Generalaudienz die unmissverständliche Interpretation seines Vorgehens, als er in Treue zu seiner Berufung ins Petrusamt, das ihm der Herr anvertraut hat, konstatierte: „Das ‚immer‘ ist auch ein ,für immer‘ – es gibt keine Rückkehr ins Private. Meine Entscheidung, auf die aktive Ausübung des Amtes zu verzichten, nimmt dies nicht zurück (Ital.: Il „sempre“ è anche un „per sempre“ – non c’è più un ritornare nel privato. La mia decisione di rinunciare all’esercizio attivo del ministero, non revoca questo[2]).

Die Declaratio hat nur angekündigt, dass der Pontifex auf den Dienst des Bischofs von Rom, der ihm durch die Hand der Kardinäle übertragen worden sei, verzichte (plena libertate declaro me ministerio Episcopi Romae, Successoris Sancti Petri, mihi per manus Cardinalium die 19 aprilis MMV commissum renuntiare).
Hier tritt die wichtige Präzisierung hervor, auf die es ankommt: Unter ministerium wird in der gesamten Declaratio die aktive Ausübung des munus verstanden – eine Differenzierung, die das Lateinische ermöglicht.

Im Lichte der oben erwähnten Darlegungen Papst Benedikts ist die Absichtsbekundung, auf das ministerium zu verzichten, nicht identisch mit einem etwaigen Rücktritt vom Amt (munus), wie ihn das Kirchenrecht im entsprechenden can. 332 § 2 CIC verbindlich definiert (Si contingat ut Romanus Pontifex muneri suo renuntiet, ad validitatem requiritur ut renuntiatio libere fiat et rite manifestetur). Der Kanon wurde in der Erklärung nicht einmal erwähnt. Stattdessen kam die gravierende grammatikalische Kongruenz-Blockade commissum an der entscheidenden Stelle[3] – aus dem Munde des perfekten Lateiners, der diese Sprache nach eigener Auskunft bewusst wählte, um keine Fehler zu machen.[4]

Einen unübersehbaren Hinweis gab der Pontifex später mit seiner Aussage zur historischen Einordnung des Geschehens. Angesprochen auf seinen Verzicht, gab Benedikt XVI. zur Antwort, dass „tausend Jahre kein Papst zurückgetreten ist“[5]. Diese Aussage ist sehr aufschlussreich, da es im besagten Zeitintervall bekanntermaßen das berühmte Beispiel Coelestins V. gegeben hat, der auf das Petrusamt verzichtete.
Von ihm heißt es in der Papstgeschichte des Historikers Dr. Gaston Castella: „Tiefunglücklich über seine Lage und um sein Seelenheil bangend, entschloss sich der Papst schließlich zur Abdankung. Am 13. Dezember 1294 erklärte er den versammelten Kardinälen, dass er sich ‚um der Demut willen, im Verlangen nach einem vollkommenen Leben und unverletzten Gewissen‘, ‚aus eigenem Antriebe und freiem Willen‘ vom Papsttum zurückzöge. Darauf stieg er vom päpstlichen Thron, legte alle päpstlichen Abzeichen ab, den Fischer-Ring, die Tiara und den Mantel, und setzte sich auf die Erde nieder.“[6]

Einen solchen Schritt hat Papst Benedikt deutlich von sich gewiesen, indem er betonte, „dass die Situation von Coelestin V. einzigartig war und nicht in irgendeiner Form als Vorbild dienen konnte.“[7]
Dagegen bekannte der deutsche Pontifex, er habe seinen eigenen Schritt im vollen Bewusstsein seiner Schwere und auch Neuheit vollzogen, aber mit einer tiefen Seelenruhe (Ital.: Ho fatto questo passo nella piena consapevolezza della sua gravità e anche novità, ma con una profonda serenità d’animo[8]). Das besagte Novum besteht darin, dass Benedikt XVI. den bekundeten Verzicht auf die aktive Ausübung des munus beschränkt hat.

Dementsprechend trug er weiterhin die weiße Soutane und die Anrede Eure Heiligkeit blieb[9]. Er erteilte wie gewohnt den Apostolischen Segen[10] und unterzeichnete Briefe mit seinem päpstlichen Namen. Auf die Anfrage, ob er nicht das Wappen ändern wolle, antwortete der Pontifex, er habe nicht vor, es zu ändern.[11] Noch im Jahr 2021 schenkte er im Anschluss an ein italienisches Interview eine päpstliche Gedenkmedaille und ein Lesezeichen mit seinem Segensfoto – beides aus seinem Pontifikat. Das ist auch insofern sehr markant, als er im damaligen Austausch dezidiert hervorgehoben hatte: „Es gibt nicht zwei Päpste. Der Papst ist nur einer(Ital.: Non ci sono due Papi. Il Papa è uno solo).[12]

In diesem Kontext verdient ein Dialog im Buch Letzte Gespräche mit Peter Seewald besondere Beachtung. Der Journalist wollte von Papst Benedikt wissen: „Sie kennen die Prophezeiung des Malachias, der im Mittelalter mit einer Liste noch folgender Päpste auch ein Ende der Zeit, zumindest ein Ende der Kirche vorhergesagt hat. Nach dieser Liste endet das Papsttum mit Ihrem Pontifikat. Ist das ein Thema für Sie, ob es nicht tatsächlich sein kann, dass Sie zumindest der letzte einer Reihe von Päpsten sind, wie man sie bisher gekannt hat?“ Darauf äußerte sich Benedikt XVI. überaus vielsagend: „Alles kann sein.“[13]
Später, bei einer der letzten Begegnungen, fragte Seewald zum Abschied: „‚Sind Sie nun das Ende eines Alten oder der Beginn eines Neuen?‘ Die Antwort des Papstes war kurz und bestimmt: ‚Beides‘“.[14]

Ein größtmögliches Gewicht erhält der Schritt Papst Benedikts dadurch, dass er erklärtermaßen auf göttliche Intervention hin geschah: „Der Herr ruft mich, den ‚Berg hinaufzusteigen‘, mich noch mehr dem Gebet und der Betrachtung zu widmen. Doch dies bedeutet nicht, dass ich die Kirche im Stich lasse, im Gegenteil. Wenn Gott dies von mir fordert, so gerade deshalb, damit ich fortfahren kann, ihr zu dienen, mit derselben Hingabe und mit derselben Liebe, wie ich es bislang versucht habe“ (Ital.: Il Signore mi chiama a „salire sul monte“, a dedicarmi ancora di più alla preghiera e alla meditazione. Ma questo non significa abbandonare la Chiesa, anzi, se Dio mi chiede questo è proprio perché io possa continuare a servirla con la stessa dedizione e lo stesso amore con cui ho cercato di farlo fino ad ora).[15]
Im inneren Zusammenhang damit stehen die Worte bei der letzten Generalaudienz: „Ich gehe nicht vom Kreuz weg, sondern bleibe auf neue Weise beim gekreuzigten Herrn(Ital.: Non abbandono la croce, ma resto in modo nuovo presso il Signore Crocifisso).[16]

Hier zeigt sich die tiefe Dimension des Geschehens: Die Kirche, der Mystische Leib Christi, durchleidet das Paschamysterium ihres Herrn. Dieses Geheimnis ist im Katechismus beschrieben: „Die Kirche wird nur durch dieses letzte Pascha hindurch, worin sie dem Herrn in seinem Tod und seiner Auferstehung folgen wird, in die Herrlichkeit des Reiches eingehen. Das Reich wird also […] zustande kommen (vgl. Offb 19,1–9) […] durch den Sieg Gottes im Endkampf mit dem Bösen“.[17]

Der damalige Kardinal Wojtyła hatte dazu prophezeit: „Wir stehen jetzt vor der größten Konfrontation, die die Menschheit in ihrer Geschichte jemals erlebt hat. Ich denke nicht, dass […] die gesamte Christenheit dies in vollem Umfang realisiert. Wir stehen jetzt vor dem Endkampf zwischen der Kirche und der Anti-Kirche, zwischen dem Evangelium und dem Anti-Evangelium, zwischen Christus und dem Antichrist. Diese Konfrontation liegt in den Plänen der göttlichen Vorsehung. Deshalb ist sie in Gottes Plan, und es muss ein Kampf sein, den die Kirche aufnimmt und tapfer bestreitet.“[18]

Das ganze Ausmaß der Gegenkirche beschrieb der große Erzbischof Dr. Dr. Fulton J. Sheen: „Sie wird alle Merkmale und Bräuche der Kirche haben, aber mit umgekehrten Vorzeichen und ihres göttlichen Inhalts entleert. Es wird einen mystischen Leib des Antichrist geben, der in allen Äußerlichkeiten dem Mystischen Leib Christi gleichen wird.“[19]
Daraus ergibt sich, dass diese feindliche Agenda besonders – und dies erklärtermaßen – auf die Spitze der Hierarchie abzielte.[20]

Damit lässt sich die volle Bedeutung der Worte Papst Benedikts auf dem Flug nach Fatima 2010 verstehen: „Unter dem Neuen, das wir heute in dieser Botschaft entdecken können, ist auch die Tatsache, dass die Angriffe gegen den Papst und die Kirche nicht nur von außen kommen, sondern die Leiden der Kirche kommen gerade aus dem Inneren der Kirche, von der Sünde, die in der Kirche existiert. Auch das war immer bekannt, aber heute sehen wir es auf wahrhaft erschreckende Weise: Die größte Verfolgung der Kirche kommt nicht von den äußeren Feinden, sondern erwächst aus der Sünde in der Kirche.“[21]

Tatsächlich war das entsprechende Drama nun offen zu erkennen, denn in unseren Tagen hat sich das Lager der geheimen Agitatoren selbst die Maske vom Gesicht gezogen. So präsentierte Kardinal Danneels bei der Vorstellung seiner Biographie in entlarvender Hybris die Existenz der selbsternannten „St. Gallen-Mafia“. Dabei kamen die massive Agenda gegen Papst Benedikt XVI. und die per Netzwerk organisierte Durchsetzung der eigenen ausgesuchten Person deutlich zur Sprache.[22] Die subversive Wahlkampagne ist offenkundig. Derartige Manöver waren vom Gesetzesdokument für das Konklave Universi Dominici gregis eindeutig verboten und mit der Strafe der Exkommunikation belegt worden – für die manipulierenden Kardinäle und den zustimmenden Kandidaten selbst.[23]
Am 13. März 2013 bekam der Wahlkoordinator Danneels dann bezeichnenderweise seinen Platz auf der Loggia. Er war bekannt als Aktivist für Abtreibung, Homosexualität, gleichgeschlechtliche „Ehe“,[24] Missbrauchsvertuschung[25] und synkretistische Affinität zum Islam[26].

Vor diesem Hintergrund wird einsehbar, warum Papst Benedikt XVI. zu Beginn seiner Declaratio betonte, er habe „eine Entscheidung von großer Wichtigkeit für das Leben der Kirche(decisionem magni momenti pro Ecclesiae vita) mitzuteilen. Eine wesentliche Bedeutung der lateinischen Präposition pro ist: für, zum Schutz, zum Vorteil, zugunsten.
Es handelte sich also um einen Schritt zum Schutz der Kirche, um ihr Leben zu bewahren. Diese Formulierung beleuchtet das wirkliche Geschehen. Weit davon entfernt, vor den Wölfen geflohen zu sein,[27] hat der Pontifex in Wahrheit einen hochherzigen Akt der Hingabe gesetzt. Dem gekreuzigten Erlöser im Paschamysterium eng verbunden, hat Benedikt XVI. das Papstamt gegen den usurpatorischen Zugriff verteidigt, indem er auf den Dienst des Bischofs von Rom verzichtete und das munus Petrinum bewahrte.

Wie er selbst bekundete, ist er damit „im engeren Bereich des heiligen Petrus“ geblieben.[28] Der Pontifex erklärte: „Die Petrusnachfolge ist ja nicht nur mit einer Funktion verbunden, sondern sie trifft ins Sein hinein.“[29] Deshalb konnte er acht Jahre nach seiner Declaratio sagen: „Mein Gewissen ist rein.“[30] Und ebenso entgegnete er an anderer Stelle innerhalb der Dekade der destruktiven Agitationen auf die Frage, ob er seinen Schritt auch nur eine Minute bereut habe, mit der größten Entschiedenheit: „Nein! Nein, nein. Ich sehe jeden Tag, dass es richtig war.“[31]
Denn als Katechon (κατέχων) war er im ekklesialen Paschamysterium bereit, das äußerste Zeugnis der Treue zu geben, um den Felsen der wahren Kirche Gottes zu verteidigen. So durfte Papst Benedikt XVI. auf die Frage des Herrn, ob er ihn liebe, am Ende des irdischen Pilgerweges mit den Worten des heiligen Petrus antworten: „Signore, ti amo!“[32]

1. Mai 2025

Pastor Frank Unterhalt

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[1] Papst Benedikt XVI., Letzte Gespräche mit Peter Seewald, München 2016, S. 60.
[2] Ders., Udienza Generale, 27. Februar 2013.
[3] Ders., Declaratio, 11. Februar 2013, in: YouTube, „L’annuncio di Benedetto XVI. L’apertura del Tg2000 dell’11 febbraio 2013“, 1:10 min, youtube.com/watch?v=BciuuNvOfj4 ; abgerufen am 1. Mai 2025. Vgl. ders., Ich habe mich nie allein gefühlt, Illertissen 2013, S. 10.
[4] Vgl. Peter Seewald, Benedikt XVI. Ein Leben, München 2020, S. 1034.
[5] Papst Benedikt XVI., Letzte Gespräche mit Peter Seewald, S. 38.
[6] Dr. Gaston Castella, Papstgeschichte, Zürich 1944, Band 1, S. 285.
[7] Peter Seewald, Benedikt XVI. Ein Leben, S. 1074.
[8] Papst Benedikt XVI., Udienza Generale.
[9] Vgl. Tilmann Kleinjung, „Seine Heiligkeit bleibt Seine Heiligkeit“, in: Tagesschau.de, 26. Februar 2013.
[10] Fra Giovanni Spagnolo, „Ricordando Benedetto XVI…“, in: Conferenza Italiana Ministri Provinciali Cappuccini, in: http://www.fraticappuccini.it/new_site/index.php/eventi-di-rilievo/3985-ricordando-benedetto-xvi.html ; abgerufen am 1. Mai 2025.
[11] Vgl. Marco Bertoncini, „Ratzinger vuol tenere lo stemma“, in: ItaliaOggi, Nummer 131, 4. Juni 2013, S. 13.
[12] Massimo Franco, „Intervista a Ratzinger: «Non ci sono due Papi. La rinuncia di 8 anni fa? Credo di aver fatto bene»“, in: Corriere della Sera, 1. März 2021.
[13] Papst Benedikt XVI., Letzte Gespräche mit Peter Seewald, S. 263.
[14] CNA Deutsch, „Als der Blitz einschlug: Georg Gänswein über den „Jahrtausendschritt“ von Papst Benedikt“, 11. Februar 2023.
[15] Papst Benedikt XVI., Angelus, 24. Februar 2013.
[16] Ders., Udienza Generale.
[17] Katechismus der Katholischen Kirche, 677.
[18] John-Henry Westen, „Two timely quotes from St. John Paul II on his feast day“, in: LifeSiteNews, 22. Oktober 2014; vgl. The Wall Street Journal, 9. November 1978.
[19] Erzbischof Dr. Dr. Fulton J. Sheen, Der Kommunismus und das Gewissen der westlichen Welt, Berlin 1950, S. 12.
[20] Vgl. Prof. Dr. Ivan Pojavnik, Die Kirche erlebt Fatima, Wien 2000, S. 39.
[21] Papst Benedikt XVI., Interview auf dem Flug nach Portugal, 11. Mai 2010.
[22] Vgl. Amand Timmermans, „Danneels und der Mafiaklub „Gruppe von Sankt Gallen““, in: Katholisches.info, 5. Oktober 2015.
[23] Vgl. Papst Johannes Paul II., Apostolische Konstitution Universi Dominici gregis, 81.
[24] Vgl. Jeanne Smits, „Cardinal Danneels congratulated Belgian gvmt for legalizing gay ‘marriage’: new book“, in: LifeSiteNews, 23. September 2015.
[25] Vgl. Mark Eeckhaut, „Hoe kardinaal Danneels probeerde het schandaal-Vangheluwe geheim te houden“, in: Nieuwsblad.be, 28. August 2010.
[26] Vgl. Jürgen Mettepenningen, Karim Schelkens, Godfried Danneels: biographie, niederländische Ausgabe (e-Book), Kalmthout 2015, Kap. 22 und 24.
[27] Vgl. Papst Benedikt XVI., Predigt in der Heiligen Messe zur Amtseinführung, 24. April 2005.
[28] Ders., Udienza Generale.
[29] Ders., Letzte Gespräche mit Peter Seewald, S. 43.
[30] Massimo Franco, „Intervista a Ratzinger: «Non ci sono due Papi. La rinuncia di 8 anni fa? Credo di aver fatto bene»“.
[31] Papst Benedikt XVI., Letzte Gespräche mit Peter Seewald, S. 49.
[32] L’Osservatore Romano, „Ein Schatz, der bleibt“, 13. Januar 2023.