Die unfehlbare Lehre von Ordinatio Sacerdotalis

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Päpstliche Verlautbarungen können in unterschiedlichen Formen schriftlich und offiziell publiziert werden. „Mangels offizieller Festlegung und fehlender einheitlicher Terminologie kann aus der verwendeten Bezeichnung oder aus der äußeren Form nicht ohne weiteres auf Stellenwert, Gewicht oder Verbindlichkeit geschlossen werden; vor allem die Sachaussage entscheidet.“ [1]

Am 22. Mai 1994, dem Pfingstsonntag jenes Jahres, unterzeichnete der heilige Papst Johannes Paul II. (1978–2005) das Apostolische Schreiben (Epistola Apostolica) Ordinatio Sacerdotalis (OS), in dem er kraft seines Amtes die Brüder zu stärken erklärte, „dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden und dass sich alle Gläubigen endgültig (definitive) an diese Entscheidung zu halten haben.“ [2]

Es geht im Folgenden um die Frage: Ist die Lehre von OS mit dem Anspruch vorgetragen worden, es sei keinesfalls irgendwann einmal eine Änderung zu erwarten oder handelt es sich um eine Lehre, die zwar mit hoher Verbindlichkeit vorgetragen, doch unter der Unfehlbarkeitsmarke verbleibt und somit eine künftige Änderung zwar unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen sein lässt? Bei dieser Frage kann der Kirchenrechtler nicht ausweichen, hier gibt es nur ein „Ja“ oder „Nein“.

OS, eines der wichtigsten Dokumente von Papst Johannes Paul II. und „zweifellos ein Markstein in seinem Pontifikat“ [3], ist ein kurzer, aber sehr klarer und energischer Brief. Anlass und Intention von OS werden eindeutig beschrieben. Schon Papst Paul VI. (1963–1978) sah sich zur Vorlage der Lehre, dass die Priesterweihe Männern vorzubehalten ist, durch die Kongregation für die Glaubenslehre veranlasst, weil diese Lehre außerkirchlich und innerkirchlich bezweifelt bzw. kontrovers diskutiert wurde. [4]
Auch Papst Johannes Paul II. sah sich zur Intervention gedrängt, weil diese Lehre trotz der konstanten und universal entgegenstehenden Position des Lehramts für diskutierbar gehalten oder ihr eine disziplinarische Kraft zugesprochen und damit als grundsätzlich reformabel angesehen wurde.

Aber nicht nur diese inhaltliche Diskussion, sondern auch die formelle Unterbewertung der Lehre wurden als Anlass von OS genannt. Der damalige Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, Kardinal Ratzinger, sprach von „Unsicherheiten, Zweifeln und Diskussionen“, die sich in jüngster Zeit zugespitzt hätten. Eine einseitige Auffassung von Unfehlbarkeit als einzig verbindlicher Form einer Lehraussage in der Kirche sei zum Vorwand geworden, die anderen Dokumente in dieser Frage zu relativieren und als weiterhin offen zu erklären. [5] Die Intention von OS besteht darin, jeden diesbezüglichen Zweifel auszuräumen.
„Dies geschieht durch die Bekräftigung und ins Grundsätzliche reichende Wiederholung der Lehre nach ihrer inhaltlichen Seite. Aber auch in formaler Hinsicht will das Dokument jeden Zweifel am Charakter der Lehre beseitigen. Es geht erkennbar davon aus, dass dieser Charakter ihm eindeutig zu entnehmen ist. Dies spricht grundsätzlich gegen Versuche, das Schreiben formal in der Schwebe zu halten.“ [6]
OS wird auch in negativer Hinsicht konkretisierend von anderen Lehrtypen abgegrenzt. Gemäß einem begleitenden Kommentar von Kardinal Ratzinger zu OS, der im L’Osservatore Romano vom 30./31.1994 publiziert wurde, enthält OS keine „bloße Klugheitsäußerung“, auch nicht eine „höchst wahrscheinliche Hypothese“ und schließlich keine bloß „disziplinarische Entscheidung.“ [7]

Der verbindliche Grund für Lehre und Praxis der Kirche liegt im Beispiel Christi selbst, ausgedrückt in der Wahl der Zwölf. Diese Setzung Christi, Frucht einer im Gebet verbrachten Nacht, wird in OS von der Schrift her in ihrem theologischen Tiefgang her ausgeleuchtet: Die Wahl Jesu ist zugleich Gabe des Vaters. Dieses Zeugnis der Schrift ist von Anfang an und bruchlos in der Tradition als normativer Auftrag Christi verstanden und gelebt worden. Davon kann nicht abgewichen werden. Das Lehramt weiß sich in den Dienst dieser Auslegung gestellt. OS betont den durchgängigen diachronen (historischen) wie gleichlautenden synchronen (heutigen) lehramtlichen Konsens in dieser Frage.

OS ist als ein „Lehrschreiben von rechtlicher Qualität“ zu definieren; an die darin mit apostolischer Autorität getroffene Entscheidung haben sich alle Gläubigen endgültig („definitive“) zu halten und ihr zuzustimmen. Das Gegenteil zu lehren hieße, das Gewissen der Gläubigen in die Irre zu führen.
Selbst der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann von Mainz, hat das noch verstanden, als er erklärte: „Der Papst hat in der Erklärung vom Mai 1994 unter sehr hohem Einsatz seiner Lehrautorität gesprochen. Niemand kann dies übersehen. Wer katholisch sein will, kann nicht so tun, als ob der Papst nichts entschieden hätte und als ob seine Meinung höheren Respekt verdiente. Der Papst spricht verbindlich für die Kirche. Da führt kein Weg daran vorbei.“ [8]

Trotz dieser Eindeutigkeit von OS in Diktion und Intention ergab sich bald in katholischen Kreisen eine bis heute andauernde Situation, die das Klerusblatt sehr zutreffend mit der Überschrift charakterisierte: „Probleme mit dem endgültig“. [9] So wurde, auch von Kanonisten, behauptet, dass „definitive“ im theologischen Sprachgebrauch nicht mit „infallibel“ (unfehlbar) gleichzusetzen ist. [10]

Das ist nicht haltbar. „Definitive“ ist ein lehrrechtlicher „terminus technicus“, der unzweifelhaft abschließende, letzte, unumstößliche Gültigkeit bedeutet. [11] „Definitiv bedeutet kanonistisch-juridisch Irreformabilität; definitive Entscheidungen sind unwiderruflich und unanfechtbar.“ [12] Der Ausdruck kennzeichnet Lehren des infalliblen kirchlichen Lehramtes. [13]
Diese Ausführungen stützen sich auf die Feststellung der Kommission, welche die Reform des CIC vorbereitete, dass die Formulierungen „definitivo acto“ (can. 749, 1; 752 CIC), „definitive“ (can. 749, 2 CIC) und „definita“ (can. 749, 3 CIC) synonym verwendet werden. Außerdem bedeutet „definire“ in der Auslegung von Bischof Gasser auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869–1870) einen Akt, mit dem ein Zustand des Schwankens beendet werden soll, mit dem der Papst seine Auffassung über eine Glaubens- und Sittenlehre „direkt und endgültig ausspricht … Als Definition ist demnach jede die Auffassung des Papstes sicher zu Erkennen gebende direkte und endgültige Lehraussage zu betrachten, bei der sich um eine der ‚res fidei et morum‘ handelt.“ [14]
Kardinal Ratzinger, der in seinem offiziellen Kommentar die in OS vorgelegte Lehre als definitiv und damit als nicht reformabel bezeichnete, hat damit den exakten Sprachgebrauch des Codex Iuris Canonici (CIC) angewandt.
Die davon abweichenden Ansichten, wie sie auch der sogenannte Synodale Weg wieder vorgelegt hat, sind nichts anderes als verzweifelte Versuche, die Eindeutigkeit von „definitiv“ zu relativieren, um so die Hintertür für eine spätere Revision von OS offen zu halten.

Was hat der Papst also mit OS genau getan? Eine in der Kirche schon existierende, nun aber in Zweifel gezogene Gewissheit, wird mit der Autorität des Papstes explizit als solche bestätigt. „Es wird ihr eine konkrete Form gegeben, die das immer schon gelebte auch in eine verbindliche Form bringt, wie man das Wasser einer Quelle fasst, das dadurch nicht verändert, aber gegen etwaiges Versickern und Versanden geschützt wird.“ [15] Papst Johannes Paul II. hat in OS in deklarativer Form eine materiell bereits gegebene Unfehlbarkeit in Wahrnehmung seines höchsten ordentlichen Lehramts authentisch als gegeben bezeugt.
Dieses hier vorgetragene Ergebnis kann sich auf den Papst selbst stützen, der in einer Ansprache an die Vollversammlung der Glaubenskongregation am 24. November 1995 erklärte: „In den Enzykliken Veritatis Splendor (Der Glanz der Wahrheit) und Evangelium Vitae (Das Evangelium des Lebens) sowie im Apostolischen Schreiben Ordinatio Sacerdotalis, wollte ich noch einmal die konstante Glaubenslehre der Kirche vorlegen durch einen Akt der Bestätigung jener Wahrheit, die eindeutig verbürgt wird durch die Schrift, die apostolische Tradition und die einhellige Lehre der Väter. Kraft der dem Nachfolger Petri übertragenen Autorität, ‚die Brüder im Glauben zu stärken‘ (Lk 22,32), drücken solche Erklärungen die gemeinsame Sicherheit aus, präsent im Leben und in der Lehre der Kirche.“ [16]

OS zwingt zur Entscheidung: entweder man bejaht das päpstliche Schreiben und damit die Unmöglichkeit der Priesterweihe der Frau oder man bestreitet dies weiterhin. „Wenn es bessere Argumente zur Bestreitung der Unfehlbarkeit der Lehre von Ordinatio Sacerdotalis gibt, dann müssen sie wegen des Grundsatzes des c. 749, 3 CIC vorgetragen werden. Dies liefe darauf hinaus, dass der Papst in Ausübung seines ordentlichen Lehramtes irrtümlich eine Lehre für irreformabel erklärt hätte.“ [17]
Die Folgen wären fatal: „Wenn die Kirche sich tatsächlich geirrt hätte bei einer Frage, die ihre göttliche Verfassung, die Sakramente und die Grundlagen der Anthropologie … betrifft, wäre ihre sakramentale Struktur ausgehöhlt, der Überlieferungszusammenhang der geschichtlichen Offenbarung und ihrer getreuen Weitergabe zerstört; sie könnte sich allenfalls als eine Gruppierung von Jesus-Anhängern zusammenfinden.“ [18]

Dies alles wischt der sogenannte Synodale Weg arrogant zur Seite. Auf die Sakramente kommt es nicht mehr an, sondern darauf, dass sie „demokratisiert“ und „geschlechtergerecht“ „gespendet“ werden; sie werden zu einem (potentiell ungültigen) Handeln durch eigene Vollmacht, laikaler Vermessenheit und bischöflichem Verrat.
„Wenn deutsche Bischöfe bei all dem noch die Einheit mit Rom beschwören, fragt man sich, wie dann erst die Trennung aussehen mag … Wo die ‚Klerikalisierung‘ der Laien die Hand an die Sakramente legt, kann man schwerlich von einer ‚Erneuerung‘ der Kirche sprechen; die beginnt nie bei ihrer göttlichen Verfasstheit und schon gar nicht revolutionär ‚von unten‘ – sie beginnt immer mit der Bekehrung des Einzelnen und mündet in die Evangelisation. In Deutschland hat man das nicht begriffen: Hier heißt ‚Erneuerung‘ schlicht ‚Abspaltung‘; seit Luther hat man – wen könnte das verwundern – nichts dazugelernt.“ [19]

27. November 2022
Erster Advent

P. Peter Mettler MSF, Dr. theol., lic.iur.can.

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[1] Schmitz, Heribert. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls. In Lexikon für Theologie und Kirche. Band 10. Freiburg i. Br. 2016, 691.
[2] Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 117. Bonn 1994, 6.
[3] Hauke, Manfred. Ordinatio Sacerdotalis: das päpstliche Schreiben zum Frauenpriestertum im Spiegel der Diskussion. In Forum Katholische Theologie 11 (1995), 270–298, 270.
[4] Erklärung zur Frage der Zulassung von Frauen zum Priesteramt Inter Insigniores. In AAS 69 (1977) 98–116. Deutsch: In Müller, Gerhard Ludwig. Der Empfänger des Weihesakramentes. Quellen zur Lehre und Praxis der Kirche, nur Männern das Weihesakrament zu spenden. Würzburg 1999, 155–178.
[5] Ratzinger, Joseph. Grenzen kirchlicher Vollmacht. Das neue Dokument von Papst Johannes Paul II. zur Frage der Frauenordination. In Internationale Katholische Zeitschrift 4 (1994) 337–345.
[6] Lüdecke, Norbert. Die Grundnormen des katholischen Lehrrechts in den päpstlichen Gesetzbüchern und neueren Äußerungen in päpstlicher Autorität. Würzburg 1997, 551.
[7] Ratzinger. a.a.O.
[8] Föderl-Schmied, A. Interview mit Bischof Karl Lehmann. Kein „Los von Rom“. In Die neue Furche 51 (1995) 14.
[9] Das Apostolische Schreiben Ordinatio Sacerdotalis vom 22. Mai 1994. Wortlaut – Stellungnahmen Reaktionen. In Klerusblatt 74 (1994) 147–150.
[10] Vgl. Örsey, Ladislas. A. Canon Law approach. Infallibility and the Ordination of Women. In Doctrine and Life 56 (1996) 16-18. Antón, Angel. Ordinatio Sacerdotalis. Algumas reflexoes de gnoseologia teológica. In Geregorianum 75 (1994) 723–742. Antón, Professor an der Gregoriana, gesteht aber selbst, dass nicht wenige Theologen es für schwierig halten, eine definitiv vorgelegte Lehre anzunehmen, die nicht zugleich unfehlbar ist. Dennoch belässt er es bei dem Eindruck, definitiv sei ein Begriff, der mehrere Grade zulässt, von denen der höchste unfehlbar meint.
[11] Vgl. Lüdecke, Norbert. Also doch ein Dogma? Fragen zum Verbindlichkeitsanspruch der Lehre über die Unmöglichkeit der Priesterweihe für Frauen aus kanonistischer Perspektive. Eine Nachlese. In Bock, Wolfgang / Lienemann, Wolfgang (Hrsg.) Frauenordination. Studien zu Kirchenrecht und Theologie. Band III. Heidelberg 2000, 41–120, 71.
[12] Schmitz, Heribert. „Professio Fidei und Iusiurandum fidelitatis“. Glaubensbekenntnis und Treueid. Wiederbelebung des Antimodernisteneides? In Archiv für katholisches Kirchenrecht 157 (1988) 353–429, 411. Nach Georg May besagt Irreformabilität „die Unmöglichkeit der Abänderung“. Ders. Ego N.N. Catholicae Ecclesiae Episcopus. Entstehung, Entwicklung und Bedeutung einer Unterschriftsformel im Hinblick auf den Universalepiskopat des Papstes. Berlin, 1995, 475.
[13] Vgl. can. 749 CIC.
[14] Riedl, Anton. Die kirchliche Lehrautorität in Fragen der Moral nach den Aussagen des Ersten Vatikanischen Konzils. Freiburger theologische Studien, Freiburg i. Br. 1979, 346, 356.
[15] Ratzinger, Joseph. Grenzen kirchlicher Vollmacht. 337, 342f.
[16] Johannes Paul II. Ansprache an die Vollversammlung der Glaubenskongregation. In L’Osservatore Romano. Deutsche Wochenausgabe, 19. Januar 1996, 6.
[17] Lüdecke. Dogma. 117.
[18] Müller, Gerhard Ludwig. Priestertum und Diakonat. Der Empfänger des Weihesakramentes in schöpfungstheologischer und christologischer Perspektive. Freiburg i. Br. 2000, 66.
[19] Heimerl, Joachim. Verrat an den Sakramenten: Die Einführung der „Laientaufe“. In kath.net, 06. November 2022.