Der frühere Präfekt der Glaubenskongregation hat am 10. Februar 2019 einige neuralgische Punkte des katholischen Credo angesichts der Unsicherheit und Verwirrung in Sachen des Glaubens, die sich ausgebreitet haben, neu in Erinnerung gebracht und als verbindlich erklärt. Aus dem Spektrum der von ihm behandelten Glaubensartikel möchte ich nur zwei Punkte näher betrachten: das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen und die Antwort, die der Glaube auf die Frage nach dem letzten Ziel des Menschen gibt:
Der eine und dreifaltige Gott, offenbart in Jesus Christus
Der heutige theologische Relativismus propagiert einen „Gott aller Menschen“, der ein verborgenes, eigenschaftsloses und für unseren Geist völlig unerreichbares X ist, das sich dem Menschen nicht mitteilen kann. Offenbarung findet nicht statt. Das einzig Reale, das unbekannte Absolute, schattet sich in den verschiedenen Religionen je verschieden ab – entsprechend der kulturellen, sprachlichen und intellektuellen Disposition der jeweiligen Tradition, in denen Menschen aufwachsen. Jeder erfasst auf diese Weise irgendeinen Aspekt dieses Absoluten, der aber nicht mit einer realen Gotteserkenntnis gleichgesetzt werden darf. Wie in einem Prisma bricht sich das diffuse Licht in unterschiedliche Farben, die alle etwas von dem realen Absoluten einfangen, ohne mit einer wirklichen Eigenschaft Gottes zu korrelieren. Das Absolute bleibt unbestimmt: einmal personal, dann wieder nicht-personal, und im Bereich der personalen Gottesvorstellung dann wieder einpersönlich oder mehrpersönlich. Erst wenn man alle Gottesbilder der verschiedenen Religionen zusammenträgt und unter einem allgemeinen Abstraktum subsumiert, von dem man letztlich nicht viel wissen kann, gelangt man zu dem Metastandpunkt des religiösen Pluralismus, der sich oberhalb aller konkreten Religionen wähnt. Er generiert den Gott aller Menschen – einen Gott für alle und jeden. Er stellt die „aufgeklärte“ Religiosität auf den Cocktailpartys der globalen Eliten dar, auf denen es zum guten Ton gehört, natürlich in der Weise religiös zu sein, wie es das Gesetz der universalen Toleranz gebietet.
Der Gott der Pluralisten offenbart sich nicht – weder in betonten Aussagen über sich selbst, noch in einem sittlichen Gesetz, das dem Menschen irgendeine Normativität auferlegt. Er schert sich nicht um das, was der kleine Mensch tut. In unerreichbares Ferne wesend, hat er keine Ansprüche an den Menschen. So gibt es auch keinen Richter, vor dem der Mensch sein Tun verantworten müsste.
Demgegenüber geht die christliche Religion von der Selbstoffenbarung des trinitarischen Gottes aus, der sich uns Menschen in einer Geschichte des Heils erschlossen hat, ja selbst in diese Geschichte eingetreten ist:
„Die Verschiedenheit der drei Personen in der göttlichen Einheit (254) markiert im Hinblick auf andere Religionen einen fundamentalen Unterschied im Gottesglauben und im Menschenbild. Am Bekenntnis zu Jesus dem Christus scheiden sich die Geister. (…)
Es ist auch abwegig, die trinitarische Offenbarung auszublenden und das Christentum auf einen vorgängig gültigen Monotheismus zurückzunehmen. Diese Gefahr meldet sich dort an, wo man allzu sehr den Monotheismus einer „abrahamitischen Religion“ beschwört, die als allgemeines Genus dienen soll, das unter sich das Judentum, den Islam und das Christentum vereint.
Wer den im Alten Testament sich ausbildenden Monotheismus, den Jahwe-Glauben des alten Gottesvolkes, als Matrix einer fortschreitenden heilsgeschichtlichen Offenbarung versteht, wird entdecken, dass dieser Glaube Israels, der sich auf das Kommen des Messias ausrichtete, offen war für eine weitergehende Offenbarung. Er bildete gewissermaßen einen fortbestimmungsfähigen Monotheismus. Darum konnte der gläubige Rest Israels an der Schwelle zum Neuen Testament den Messias-König Jesus Christus als den verheißenen Sohn Gottes begrüßen, ohne sich vom jüdischen Monotheismus zu verabschieden.
Man muss hier den Unterschied zu einem vom Talmud geprägten Judentum sehen, das in sich gewisse Sperren gegen eine in Richtung auf den dreieinigen Gott verlaufende fortschreitende Offenbarung aufgerichtet hat. Wie Peter Schäfer in seinem Buch über den Talmud[1] unpolemisch aufgewiesen hat, stellt der Talmud eine antichristliche Gegenerzählung dar, die die Gestalt Jesu, wie sie in den Evangelien hervortritt, von Anfang an negiert.
Genauso stellt der okkasionalistische Islam mit einem alles determinierenden Gott Allah, dem alle unterworfen sind, eine nicht mit dem christlichen Glauben zu vereinbarende Gottesvorstellung dar. Die Aussage in Sure 9, 30 („Allah hat keinen Sohn“) bildet die Trennungslinie zu jeder Art von Fortbestimmung des islamischen Monotheismus hin zu einer personalen Beziehentlichkeit innerhalb Gottes selbst.
Im Hinblick auf die Christologie ergibt sich bei den Anhängern des theologischen Pluralismus eine Nivellierung der Person Jesu: Er wird eingereiht in die großen charismatischen Gründergestalten und verliert seine soteriologische Einzigkeit: Er kommt neben Gautama Buddha, Lao Tse-Tung, Gandhi oder Greta (EZ Koch) zu stehen. Man betrachtet ihn als jemanden, der in seinem Bewusstsein zur Einsicht in die Einheit mit dem All-Einen, das manche „Gott“ nennen gelangt ist und der uns – wie andere große Gestalten der Religionsgeschichte – lehrt, den Egozentrismus zu überwinden und eine neue Form der Offenheit für alle zu erlangen.
Wie es kein inneres Offenbarungswort Gottes gibt, so auch keinen Mittler, der es uns erlaubt, von unserer Immanenz aus die Transzendenz Gottes zu erreichen. Dagegen heißt es im Glaubensmanifest des Kardinals:
„Er ist (…) der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen (846). (…)
Mit klarer Entschiedenheit ist dem Rückfall in alte Häresien entgegenzutreten, die in Jesus Christus nur einen guten Menschen, Bruder und Freund, einen Propheten und Moralisten sahen.“
Das Ewige Leben
„Viele fragen sich heute, wofür die Kirche eigentlich noch da ist, wenn sich auch Bischöfe lieber in der Rolle als Politiker gefallen, denn als Lehrer des Glaubens das Evangelium verkünden. Der Blick darf nicht durch Nebensächlichkeiten verwässert, sondern das Proprium der Kirche muss thematisiert werden. Jeder Mensch hat eine unsterbliche Seele, die im Tod vom Leib getrennt wird, indem er auf die Auferstehung der Toten hofft (366). Der Tod lässt die Entscheidung des Menschen für oder gegen Gott definitiv werden. Jeder muss sich unmittelbar nach dem Tod dem besonderen Gericht stellen (1021). Entweder ist noch eine Läuterung notwendig oder der Mensch gelangt unmittelbar in die himmlische Seligkeit und darf Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Es gibt auch die schreckliche Möglichkeit, dass ein Mensch bis zuletzt im Widerspruch zu Gott verharrt und indem er sich Seiner Liebe definitiv verweigert, „sich selbst sogleich und für immer verdammt“ (1022).
Im Mittelpunkt der heutigen Verkündigung, wie sie gerade in deutschen Landen üblich geworden ist, steht ein überzogener Heilsoptimismus oder Heilsautomatismus. Mit dem Scheiden aus diesem Leben gelangen ein jeder und eine jede auf direktem Weg in die Herrlichkeit des Himmels, sprich in die im Augenblick des Todes eintretende „Auferstehung“ (der „Leiblichkeit“). Sollte jemand noch der postmortalen Läuterung bedürfen, was freilich ausgesprochen selten ist, so vollzieht sich diese im selben Moment des Todes. Da es keine leibfreie Seele gibt, die nach der Trennung von ihrem Leib ihren Seinsakt behält, stirbt jeweils der ganze Mensch und wird augenblicklich von Gott neu geschaffen, das heißt in den Zustand der Auferstehung versetzt. Tod = Vollendung = ewiges Leben = Auferstehung.
In der Verkündigung und Totenliturgie dominiert das, was man die Theorie von der „Auferstehung im Tode“ genannt hat.
Auch das zunächst durch eine bessere Übersetzung der lateinischen Texte abgelöste Totenrituale des deutschen Sprachraums, das zu neuem Leben gelangt ist, hat die Realität der „Seele“ eliminiert. Die Seelen sind in der nachkonziliaren Totenliturgie abhandengekommen – ein Umstand, zu einer Verarmung und Verkürzung dieser Riten geführt hat: Im Mittelpunkt stehen nunmehr die Bewältigung des Todes, das Abschiednehmen und die Erweckung der besseren Erinnerungen an den Verstorbenen – nicht das Gebet für ihn, das ihm helfen soll, im Gericht zu bestehen und in die Anschauung Gottes zu gelangen.
Theologisch wird man sagen müssen, dass es sehr schwierig wird, daran festzuhalten, dass es sich um denselben Menschen handelt, der hier auf Erden gelebt und nun als neuer Mensch (neugeschaffen) in der Realität der Auferstehung lebt, wenn die Seele als Kontinuitätsträger fehlt, selbst wenn sich Tod und Auferstehung im gleichen Moment zutragen. Denn ein neuer Mensch, mag er auch dem früheren genau gleich schauen, ist doch nicht derselbe, der er vorher war.
Zum anderen liefert diese Theorie keine für die Verkündigung plausible und eingängige Vorlage, denn dem Gläubigen, der miterlebt, wie der Körper des verstorbenen Angehörigen vor ihm in der Kiste liegt, wird abverlangt, zu glauben, dass er allzugleich bereits in der Auferstehung sei. Der unverbildete Mensch ist eben darin substanzorientiert, dass er es mit der „Krassität“ der materiellen Leibsubstanz hält, von der er sich nicht so leicht verabschiedet, um einer neuen Philosophie anzuhangen, in der die Materie des Körpers zur Bedeutungslosigkeit verdampft.
Außerdem wird die theologische Realität der Sünde als einer Mauer, die sich zwischen den Menschen und Gott schiebt, wenn er willentlich in der schweren Abkehr von Gott verharrt, einer Abwendung von seinem Schöpfer und seinem letzten Ziel, die sich durchaus in einzelnen Handlungen einstellen kann. War nicht der Apostel realistischer, wenn er im Brief an die Philipper sagt, wir sollten „unser Heil mit Furcht und Zittern wirken“ (Phil 2,13), da wir den Schatz „in zerbrechlichen Gefäßen“ tragen (2 Kor 4,7)?
Der Kardinal erinnert an die Wahrheiten von der menschlichen Seele, dem göttlichen Gericht und der Möglichkeit des ewigen Heilsverlustes für jene, die sich dem Angebot Gottes verweigern.
Den Abschluss des Glaubensmanifestes bildet der Aufruf, zur ganzen unverkürzten und unverfälschten Wahrheit des Glaubens zu stehen:
Diese und andere Glaubenswahrheiten zu verschweigen und die Menschen entsprechend zu lehren ist der schlimmste Betrug, vor dem der Katechismus mit Nachdruck warnt. Er stellt die letzte Prüfung der Kirche dar und führt den Menschen zu einem religiösen Lügenwahn, um „den Preis ihres Abfalls von der Wahrheit“ (675); es ist der Betrug des Antichrists. „Er wird jene, die verloren gehen, mit allen Mitteln der Ungerechtigkeit täuschen; denn sie haben sich der Liebe zur Wahrheit verschlossen, durch die sie gerettet werden sollten“ (2 Thess 2,10).
[1] Peter Schäfer, Jesus im Talmud, 32017.