Warum wir Priester brauchen

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Die Kirche – von Christus gegründet – hat ihren Ursprung in der Menschwerdung Gottes. Der unsichtbare Gott wird Mensch, damit wird Gott für uns Menschen sichtbar. Das ist die erste – und alles entscheidende Glaubenswahrheit. Nehme ich im Glauben diese Wahrheit an, dann haben alle Taten und Worte Jesu zwei Seiten: eine menschliche und eine göttliche, eine sichtbare und eine unsichtbare.
Die zweite Frage ist dann: Warum wurde Gott Mensch? Die Antwort eines Katholiken lautet: um uns Menschen von Schuld und Sünde zu erlösen, damit wir in den Himmel kommen können. So will Christus durch die Vergebung unserer Sünden in der Taufe und im Bußsakrament in uns Wohnung nehmen. Vor allem in der Hl. Kommunion, wenn er sogar unsere Nahrung wird: geistlich und materiell, unsichtbar und sichtbar. So will Christus in uns wohnen, um uns immer neu Tag für Tag zu heiligen – bis wir nach unserem Heimgang von dieser Erde in der Gemeinschaft der Heiligen ewig Gott schauen dürfen.

Die Kirche ist in erster Linie eine glaubende Gemeinschaft der Heiligen, die natürlich auch eine sichtbare Verfassung haben muss. Da Christus wollte, dass die Heiligung den Menschen bis zum Ende der Welt zuteil werden sollte, stiftete er die Kirche: Sie soll sein Heilswerk weiterführen. Dazu brauchen wir Priester. Sie sind dazu berufen, in ihrer Lebensweise ganz besonders Christus ähnlich zu werden (Zölibat). Durch sie will Christus in den Sakramenten sein Heilswerk weiterführen. Die Vollmachten, die Christus seinen Aposteln gab, sind nach katholischem Verständnis eben nicht mit dem Tode des letzten Apostels erloschen.
Nach katholischem Verständnis brauchen wir Priester, weil das Priestertum von Christus eingesetzt ist. Priester sind berufen, damit Christus durch sie im einzelnen Gläubigen in den Sakramenten sein Heil verbindlich, greifbar wirken kann.
Im Weltkatechismus lesen wir: „Christus selbst ist im kirchlichen Dienst des geweihten Priesters in seiner Kirche zugegen als Haupt seines Leibes, Hirt seiner Herde, Hoherpriester des Erlösungsopfers und Lehrer der Wahrheit. Die Kirche bringt dies zum Ausdruck, indem sie sagt, dass der Priester kraft des Weihesakramentes ‚in der Person Christi des Hauptes‘ [in persona Christi capitis] handelt“ (KKK 1548).

Das allgemein heute vorherrschende Priester- und Menschenbild ist ein rein funktionales. So wird geradezu selbstverständlich der Mensch in ein privates und ein funktionales Dasein aufgeteilt. Mein „Privatleben“ hat mit meinem „Berufsleben“ nicht zu tun. Typisch ist dabei die ewige Diskussion um das kirchliche Arbeitsrecht. Nach dem Prinzip: Ich kann ein hervorragender Arzt sein, aber privat kann ich machen, was ich will.

Die Zeit nach dem Vaticanum II hat diese funktionale Sicht des Priestertums besonders eröffnet. In den Jahren direkt nach dem Konzil – was wurde da unter den Theologiestudenten nicht alles herumphantasiert, wie unser „Berufsleben“ aussehen könnte. Da der Priester ja vermeintlich nur ein Funktionär ist, musste man ihn von vielen „Überfunktionen entlasten“.
Hier einige Beispiele. Da Jungen als Messdiener schwerer zu begeistern waren als Mädchen – nahm man das Drängeln der Mädchen dankbar an, wohl wissend, dass der meiste Priesternachwuchs über das Ministrieren ging. Die monatliche Krankenkommunion, Krankenbesuche, Kommunion- und Firmunterricht, Ehevorbereitung, Glaubensgespräche – überall hieß es, das machen jetzt die Laien: „Darin können wir Sie ‚entlasten‘, Herr Pfarrer“.
Uns Priesteramtskandidaten wurde gesagt: „Na ja, ihr habt ja noch die Beichte und die Messe, die euch keiner abnimmt.“ Aber auch das war eine Lüge.
Liturgiekreise, Kommunionhelfer und Wortgottesfeiern übernehmen viele „Funktionen“ des Priesters. Die Frage beim „Synodalen Weg“, ob wir überhaupt noch Priester brauchen, ist – da man ja auch die Beichte schon lange „abgeschafft“ hat – im gemeindlichen Leben der Deutschen Kirche durchaus verständlich. Wenn der Priester nur „Funktionär“ ist, muss man klar sagen, dass wir solche Priester nicht brauchen.

Dazu hat uns Papst Benedikt XVI. eine treffende Analyse geschenkt: „In einem Umfeld verbreiteter Säkularisierung, das fortschreitend Gott aus der öffentlichen Sphäre […] ausschließt, erscheint der Priester oft dem allgemeinen Empfinden als ‚fremd‘, und das gerade wegen der grundlegendsten Aspekte seines Amtes: Mann des Heiligen, der Welt entrückt zu sein, um für die Welt einzutreten, und der in diese Sendung von Gott und nicht von den Menschen eingesetzt wird (vgl. Hebr 5,1). Aus diesem Grund ist es wichtig, gefährliche Verkürzungen zu überwinden, die in den vergangenen Jahrzehnten unter Anwendung eher funktionalistischer als seinsbezogener Kategorien den Priester gleichsam als ‚Sozialarbeiter‘ präsentiert haben und dabei Gefahr liefen, das Priestertum Christi zu verraten“ (Ansprache an die Teilnehmer eines von der Kongregation für den Klerus organisierten Theologischen Kongresses am 12. März 2010).

Wenn ich nach über fünfzig Jahren als Priester auf mein Leben zurückblicken darf, dann waren die schönsten Augenblicke, wenn ich nach zwei- bis dreistündigem Beichtehören aus dem Beichtstuhl kam oder nach einer Messe mit dem Volk zum Herrn hin das Erlösungsopfer Christi vergegenwärtigen durfte. Dazu brauchen wir Priester. Zur persönlichen Heiligung der von Christus berufenen Gläubigen. Die Kirche ist von Christus gegründet, um Menschen in die Gemeinschaft der Heiligen aufzunehmen (Taufe) und sie besonders durch die Sakramente zur Vollendung in der Gemeinschaft der Heiligen zu geleiten.

Davon hat Papst Johannes Paul II. im Apostolischen Schreiben Pastores dabo vobis gesprochen:
„Die Priester sind in der Kirche und für die Kirche eine sakramentale Vergegenwärtigung Jesu Christi, des Hauptes und Hirten; sie verkünden mit Vollmacht sein Wort, sie wiederholen sein vergebendes Wirken und sein umfassendes Heilsangebot, vor allem durch die Taufe, die Buße und die Eucharistie, sie sorgen wie er liebevoll bis zur völligen Selbsthingabe für die Herde, die sie in der Einheit sammeln und durch Christus im Geist zum Vater führen“
(Nr. 15).

28. August 2022

Pfarrer Udo Scholz