Quo vadis, Ecclesia?

„Nicht der Weg ist das Ziel, sondern der Weg hat ein Ziel – und dieses Ziel ist Jesus Christus. Bloße Weggemeinschaft ohne Ziel ist ein gemeinsames Herumirren im Chaos zeitgeistiger Beliebigkeit.“[1]

Prälat Wilhelm Imkamp trifft mit diesem Satz genau ins Schwarze, denn diese Aussage erweist sich als zutreffend und richtig, wenn er mit Aussagen, Dokumenten, Tendenzen und Handlungen konfrontiert wird, die sich in der Kirche sowohl auf ortskirchlicher wie auch auf gesamtkirchlicher Ebene aktuell zeigen und an Kraft und Bedeutung gewinnen. Ihr Ziel scheint eine „andere“ Kirche zu sein, was nicht wenige Katholiken verunsichert, verwirrt und manchmal auch zornig und wütend zurücklässt. 

Am 06. Juli 2023 erklärte der Koordinator des Weltjugendtags, der Lissaboner Weihbischof Américo Aguiar, dass wir bei diesem Weltjugendtag „die jungen Menschen nicht bekehren wollen, zu Christus oder zur Katholischen Kirche oder irgendetwas in der Art.“ Das Ziel bestehe vielmehr darin, eine Situation zu schaffen, „in der jeder junge Mensch sagen könnte: Ich denke anders, ich fühle anders, ich organisiere mein Leben anders, aber wir sind Brüder und gehen gemeinsam in die Zukunft“. Dieser auffällige Verzicht auf den Missionsauftrag Jesu, oder vielmehr der Verrat an diesem Auftrag, erhielt eine besonders pikante Note dadurch, dass drei Tage später bekannt gegeben wurde, der besagte Koordinator werde am 30. September zum Kardinal ernannt.  

Das alles ist ein weiteres Beispiel „des auf die Religion der Netten reduzierten Katholizismus“, ein „lästiges Psychologengeschwätz über den gemeinsamen Weg in die Zukunft“, wie es George Weigel zutreffend ausgedrückt hat.[2] Vom Missions- und Taufbefehl des Auferstandenen ist keine Rede mehr oder er wird als „Proselytismus“ verächtlich abgetan. Damit wird aber geleugnet und/oder außer Acht gelassen, was untrennbar zur Kirche gehört, was die Kirche erst zur Kirche Jesu Christi macht, was ihr Existenzgrund ist: Die Kirche ist nur dann Kirche Jesu Christi, wenn sie missionarische Kirche ist. 

Die Vollmacht Christi ist universal und kennt keine Grenzen: Er ist der Pantokrator. Dies legitimiert den Auftrag und die Verheißung, den er seinem engsten Jüngerkreis in knapper und präziser Sprache mitteilt: Die Jünger sollen hinausgehen, die Enge eines Volkes verlassen, die Grenzen und Barrieren der Rassen und Sprachen überwinden und so die Voraussetzung schaffen für den zentralen Auftrag, die Menschen zu Jüngern zu machen, was durch Taufe und Belehrung geschieht. Der Taufbefehl ist eindeutig, klar und universal. Letztes Ziel des Gehens der Jünger zu allen Völkern ist also nicht ein wie auch immer gearteter Dialog oder ein gemeinsames Gehen ohne ein Ziel in eine unbekannte Zukunft, sondern die Jüngerschaft, zu denen die Sendung erfolgt.  

Die Belehrung hat umfassend zu sein. Das bedeutet, dass es kein Auswahlchristentum gibt, genau so wenig, wie es Teilzeitjünger gibt. Der Lehrbefehl „Lehrt sie alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“, ist bleibende Mahnung für alle Christen, nicht nur für die beauftragten Lehrer. Diese Mahnung ist äußerst aktuell, wenn man die Verkündigung und Katechese „light“ der vergangenen Jahrzehnte betrachtet, sowie den Glauben und das Glaubenswissen der „Gläubigen“, die sich in einem katastrophalen Zustand befinden. Es gilt weiterhin das Wort des heiligen Augustinus: „Wenn du im Evangelium nur das glaubst, was dir gefällt, und alles ablehnst, was dir nicht gefällt, dann glaubst du nicht an das Evangelium, sondern an dich selbst.“[3]

Der Vollmachtserklärung Jesu und seinem Auftrag an die Jünger schließt sich ein Versprechen an: das Versprechen seiner Gegenwart bis ans Ende der Welt. Auch dieses Versprechen ist wieder total und ohne Ausnahme: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ 

Das Wort „alle“ charakterisiert und prägt den biblischen Text in Mt 28,16–20: „alle Vollmacht“, „alle Völker“ und „alle Tage“. Das Wort Jesu ist ohne Ausnahme, keine Vollmacht, die nicht in seiner Vollmacht eingeschlossen ist, kein Volk soll ohne Taufe bleiben, keine Wahrheit, die in der Verkündigung unter den Tisch fallen darf. Kein Tag ohne seine Gegenwart. 

Letztlich geht es um den Aufbau der Kirche, um die dauerhafte Angewiesenheit dieser Kirche auf Jesus Christus. Wer von Christus spricht, kann von der Kirche nicht mehr schweigen. 

Diese christologische und sakramentale Perspektive lieferte die Orientierung für das Vaticanum II, das gleich im ersten Kapitel von Lumen Gentium (LG) erklärt: „Die Kirche ist in Christus wie ein Sakrament oder Zeichen und Instrument inniger Einheit mit Gott und der gesamten Menschheit.“ 

Am 20. Juni dieses Jahres wurde das „Instrumentum Laboris“ (IL) für die kommende „Synode der Synodalität“ publiziert. Kardinal Burke macht darauf aufmerksam, dass der Begriff Synodalität in der Lehre der Kirche keine Geschichte hat. Außerdem gibt es für ihn keine vernünftige Definition. Für den Kardinal verbirgt sich dahinter eine „Revolution“, die das Selbstverständnis der Kirche radikal verändern soll, in Einklang mit einer zeitgenössischen Ideologie, die vieles von dem leugnet, was die Kirche immer gelehrt und praktiziert hat.[4]  

Wie zur Bestätigung Burkes zitiert IL die oben genannten Worte aus LG auch zweimal (Nr. 46 und 52), die alles entscheidenden Worte „in Christus“ aber werden ausgelassen. Da diese Auslassung nicht mit Hast oder Nachlässigkeit erklärt werden kann – es wäre naiv, das zu glauben – muss von einem Vorsatz ausgegangen werden, von einer Manipulation mit einem im Text natürlich nicht offen genannten Ziel. 

Das Abkürzungsverzeichnis von IL listet die Dokumente auf, die dem Dokument zugrunde liegen (sollen). Das IL verzichtet nicht nur bewusst auf theologische Fundierung, sondern vermeidet auch „sorgfältig“ alle Bezüge zu früheren Aussagen des Lehramts der Kirche und zu den Kirchenvätern und wendet sich voraussetzungslos dem zu, was man als Zeitgeist und Zeichen der Zeit verstanden zu haben glaubt. 

George Weigel beschreibt IL dann auch als „eine geballte Menge trendiger Soziologismen mit einer dünnen Lackschicht christlicher Sprache und Bilder. Das Netto-Ergebnis ist ein Bild von der Kirche, das vollkommen die zentrale Lehre des II. Vatikanischen Konzils verpasst.“[5] 

Das IL ist christologisch mangelhaft. Von den wenigen unzureichenden Bezügen auf Christus liest es sich, als wäre es für eine internationale NGO vorbereitet worden. Eine Bestätigung von „Jesus Christus ist das Licht der Völker“ (LG) sucht man im IL vergeblich. Das Vaticanum II war zutiefst christozentrisch, während das IL alles andere als das ist.  

Das IL ist pneumatologisch leer. Es spricht zwar viel von einem „Gespräch im Geist“, sagt aber nichts darüber, wie die Kirche zwischen der authentischen Stimme des Heiligen Geistes und dem Zeitgeist unterscheidet. Es bestätigt auch nicht, dass die „Stimme des Heiligen Geistes“ niemals widersprüchlich sein kann und die Kirche zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt das eine und zu einem anderen das Gegenteil lehrt. 

Das IL ist auch ekklesiologisch mangelhaft. Es spricht viel darüber, was eine „zuhörende“ Kirche tut, aber fast gar nicht über eine lehrende Kirche, die den schon angesprochenen Missionsauftrag ihres Herrn erfüllt. Die geweihten Hirten werden auf „Vermittler“ reduziert, welche die Gemeinden dabei begleiten können, das Gespräch im Heiligen Geist als Priorität auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens zu praktizieren. Auf zwei Fragen, die im „Synodalprozess“ mehrfach aufgeworfen wurden, geht das IL erst gar nicht ein: Wie kann eine Kirche, die ständig in Versammlung ist, eine missionarische Kirche sein? Und wie kann ein Prozess, an der sich weit weniger als 1 Prozent der Kirche beteiligt hat, als Ausdruck des „sensus fidelium“ angesehen werden? 

Das IL ist schließlich moraltheologisch mangelhaft, geradezu schmerzlich lückenhaft: Es gibt keinerlei Aussage, dass die Seligpreisungen die Magna Charta des christlichen Morallebens sind oder dass der Dekalog und die Morallehre der Kirche Wegweiser zum ewigen Leben sind. Der dauernde Aufruf zum „Hören“ weist eher auf die Infragestellung des dauerhaften, verbindlichen Charakters moralischer Wahrheiten hin, die die Kirche auf Grundlage der Offenbarung und Vernunft definitiv gelehrt hat.  

Das Mantra „Zuhören“ des IL wird schließlich zur Anklage gegen die Kirche. Manche fühlten sich nicht von ihr „akzeptiert“, „verletzt“, „nicht erwünscht“, „ausgeschlossen“: „die Geschiedenen und Wiederverheirateten“, Menschen in polygamen Ehen, LGBTQ+ usw.; daran, so wird insinuiert, ist die Kirche schuld. „Aber was tut denn die Kirche? Sie lehrt nichts aus eigener Erfahrung, sondern sie verkündet das, was sie von Gott empfangen hat. Wenn sich also Menschen durch zentrale Inhalte der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre ‚verletzt‘, ‚ausgeschlossen‘ oder ‚nicht erwünscht‘ fühlen, dann fühlen sie sich von Gott ‚verletzt‘, ‚ausgeschlossen‘ oder ‚nicht erwünscht‘. Denn sein Wort legt fest, dass die Ehe aus einem Mann und einer Frau besteht und dass das Eheband unauflöslich ist. Und sein Wort hat bestimmt, dass gelebte Homosexualität Sünde ist.“[6] Da man das aber offensichtlich nicht so deutlich sagen will, zielt man auf die Kirche und versucht, einen Keil zwischen sie und Gott zu treiben. Da ja der „liebe“ Gott alle annimmt, ist es die „böse“ Kirche, die ausschließt. Damit aber wird nicht nur die ganze Kirche aus den Angeln gehoben, sondern auch die Gottesfrage gestellt: Wie ist das zu verstehen, dass die Kirche Werk Gottes ist – der in dieser Welt fortlebende Leib Christi, dem Gott seinen Geist der Wahrheit als Beistand schenkt –, wenn er zugleich diese Kirche und Millionen von Gläubigen während 2000 Jahren in wesentlichen Fragen in die Irre gehen ließ? Dann wäre alles, was die Kirche äußert und lehrt, vorläufig, reversibel, irrtumsbehaftet und damit irrelevant. 

Die Kirche aber lebt seit 2000 Jahren die Inklusion, denn sonst wäre sie heute nicht über die ganze Welt verbreitet. „Die kirchlichen Instrumente der Inklusion sind nicht – wie es im IL gefordert wird – die ‚Anerkennung‘ oder die ‚Nicht-Verurteilung‘, was Gottes Gebot widerspricht. Sondern die Instrumente, mit denen die Kirche inkludiert, sind das Katechumenat und die Taufe, die Bekehrung und das Bußsakrament. Deshalb spricht die Kirche von den Geboten Gottes und vom Sittengesetz, von der Sünde, vom Bußsakrament, von der Keuschheit, von der Heiligkeit und von der Berufung zum ewigen Leben.“[7] Dies alles findet man im IL auf 70 (!) Seiten kein einziges Mal.  

Ein ähnliches Schicksal erleidet auch die moraltheologische Enzyklika Veritatis Splendor (VS) des Hl. Papstes Johannes Paul II., die vor 30 Jahren, am 6. August 1993, publiziert wurde. Mit ihr wollte der Papst einige falsche Darstellungen der katholischen Morallehre klären, die heute in der Kirche jedoch anscheinend „zur Regel“ geworden sind. Von VS ist im Grunde nichts übriggeblieben: weder die fundamentale Theologie der Enzyklika, noch die zugrunde liegende Anthropologie, das Verhältnis zwischen Norm und Gewissen, die Existenz in sich schlechter Handlungen, die immer schlecht sind und somit immer unentschuldbar, der objektive und öffentliche Aspekt der Sünde, die Sünde selbst, die heute oft nur als eine Unzulänglichkeit gegenüber einem Ideal verstanden und somit bedeutungslos wird. 

Haben die Verfasser von IL einen anderen Weg gefunden, die Sünden der Welt zu tilgen, fragt sich Martin Grichting, der frühere Generalvikar des Bistums Chur. „Es erinnert an Vorgänge, wie sie der vor 400 Jahren geborene Blaise Pascal in seinen ‚Briefen in die Provinz‘ (Les Provinciales, 1656/1657) geschildert hat. Pascal befasste sich darin mit der Jesuitenmoral seiner Zeit, die mit sophistischer Kasuistik die Sittenlehre der Kirche unterminierte und teilweise in ihr Gegenteil zu verkehren suchte. Er zitiert in seinem vierten ‚Brief an die Provinz‘ einen Kritiker von Etienne Bauny, der über diesen Jesuitenpater sagte: ‚Ecce qui tollit peccata mundi‘: Seht, dieser nimmt hinweg die Sünden der Welt – indem er deren Existenz sophistisch wegerklärte. Solche Exzesse von Jesuiten wurden später vom päpstlichen Lehramt mehrfach verurteilt. Denn es sind nicht sie, welche die Sünden der Welt hinwegnehmen. Es ist das Lamm Gottes. So und nicht anders ist es auch heute.“[8]

Seit einiger Zeit wird häufig das neu erfundene Wort „Indietrismus“ verwendet, das mit „Rückwärtsgewandtheit“ übersetzt werden kann. Damit werden die Katholiken bezeichnet, die an der Apostolischen Tradition und der kirchlichen Überlieferung auch dann festhalten, wo diese nicht dem herrschenden Zeitgeist entspricht. Man etikettiert die Haltung dieser Gläubigen als eine „nostalgische Krankheit“ und folgerichtig schenkt IL diesen keinerlei Beachtung. Sie wurden buchstäblich durch Traditionis Custodes ausgeschlossen. Offensichtlich gibt es keine Empathie für diese Gläubigen. Der Autor widerspricht sich damit aber selbst: seiner eigenen Schrift Fratelli tutti und seinen Worten auf dem diesjährigen Weltjugendtag, in der er seine Vision von Kirche verkündete: eine Kirche „ohne Türen“, in die „alle, alle, alle hineinkommen“. 

Welches Chaos und Herumirren im Zeitgeist entstehen, wenn Jesus Christus nicht mehr das Ziel des Weges ist, lässt sich an der „neuen Sexualmoral“ des sogenannten „Synodalen Wegs“ (SW) in Deutschland illustrieren, die jedoch weder neu noch Moral ist. 

Wer den SW, den unsäglichen Druck auf kirchentreue Bischöfe, Priester und Laien, die Texte und die Diskussionen mitverfolgt hat, weiß, dass die Revision der kirchlichen Sexuallehre das zentrale Anliegen ist. Es ist die krankhafte „Unterleibsfixiertheit eines sich kirchlich nennenden Gremiums“[9], das Sexualität als „egomane Lustquelle“ missversteht. „Nun ist die Lust zweifelsfrei ein Wert. Aber Lust ist ein der Liebe nachgeordneter, ihr in glücklichen Umständen mitgegebener Wert. Liebe kann durchaus noch sein, wo kein Vergnügen mehr dabei ist – etwa am Bett eines kranken Partners. Aber Lust kann nicht sein, wo es an Liebe fehlt. Da nämlich mutiert die Lust ins Böse, wo sie gekauft oder ohne Liebe oder gegen die Liebe eingefordert wird.“[10] Um diesen entscheidenden Aspekt einer wirklich katholischen Sexualmoral, der einfach zur Seite geschoben wird, nochmals nachdrücklich zu unterstreichen: „Für eine Lebensweise, in der wir jemanden als Person ansehen und ihn nicht benutzen, haben wir das Wort Liebe. ‚Liebe ist die Vereinigung von Personen‘ – mit Willen, Verstand und im Ansehen der Größe und Unabschließbarkeit von Liebe. Sex, der nur so passiert, unterläuft das eigentlich Menschliche. Liebe sucht den ganzen Menschen – die Person – und nicht den anderen Körper als unspezifischen Anlass zur Triebabfuhr.“[11]  

In der „Neuen Sexualmoral“ des SW wird das Normale zum Anormalen, die Abweichung zur Norm. Alles kommt bunt in Regenbogenfarben daher, die aber zu einer neuen totalen Uniformität wird. Die uneingeschränkte Toleranz, die proklamiert wird, führt aber, wie es Karl Popper schon gesagt hat, zum Verschwinden der Toleranz.  

Die „Neue Sexualmoral“ ist nichts anderes als die „Entheiligung des Eros“, der in seinem Ursprung im antiken Griechenland eine Form „göttlicher Raserei“ war und als ein Rausch angesehen wurde. Dazu gehörte auch die „heilige Prostitution“, die die Menschen dem Göttlichen näherbringen sollte. Eros selbst wurde zur göttlichen Macht und „als Vereinigung mit dem Göttlichen gefeiert“. Der Wandel weg von dieser Vergöttlichung des Eros beginnt bereits im Alten Testament. In seiner ersten Enzyklika Deus caritas est schreibt Papst Benedikt XVI. dazu: „Es hat damit aber gerade nicht dem Eros als solchem eine Absage erteilt, sondern seiner zerstörerischen Entstellung den Kampf angesagt. Denn die falsche Vergöttlichung des Eros, die hier geschieht, beraubt ihn seiner Würde, entmenschlicht ihn. Die Prostituierten im Tempel, die den Göttlichkeitsrausch schenken müssen, werden nämlich nicht als Menschen und Personen behandelt, sondern dienen nur als Objekte, um den ‚göttlichen Wahnsinn‘ herbeizuführen: Tatsächlich werden sie nicht Göttinnen, sondern missbrauchte Menschen. Deshalb ist der trunkene, zuchtlose Eros nicht Aufstieg, ‚Ekstase‘ zum Göttlichen, sondern Absturz des Menschen. So wird sichtbar, dass Eros der Zucht, der Reinigung bedarf, um dem Menschen nicht den Genuss eines Augenblicks, sondern einen gewissen Vorgeschmack der Höhe der Existenz zu schenken – jener Seligkeit, auf die unser ganzes Sein wartet.“[12] 

Damit wird deutlich, dass die „Neue Sexualmoral“ nichts anderes ist als eine „Entmoralisierung“ der Sexualität, ein Rückfall ins Heidentum, eine Wiederkehr der Götter Baal und Astarte. Es ist wohl zutreffend, dass der Westen besoffen ist vom Rausch der Dekadenz, wie es Josef Kraus geschrieben hat. Kardinal Müller „hat den Eindruck, dass die Sexologie zur Leitwissenschaft erklärt ist und deshalb die auf dem geoffenbarten Glauben ruhende Theologie abgelöst hat … Wenn die Propaganda-Maschine des ‚Synodalen Weges‘ auch nur ein wenig die Hermeneutik der katholischen Theologie und die Aussagen über das Wesen und die Sendung der Katholischen Kirche in den Dogmatischen Konstitutionen des Zweiten Vatikanums (Dei Verbum, Lumen Gentium) kennte, dann hätte sie sich für den kostenlosen Nachhilfeunterricht des Ökumene-Präfekten Kardinal Koch bedankt, statt ihr übliches Feuerwerk hohler Phrasen und dreister Ignoranz abzischen zu lassen. Auf welches intellektuelle und moralische Niveau wurden Kirche und Theologie in Deutschland heruntergewirtschaftet!“[13]

Ein Papst ist kein absolutistischer Herrscher nach dem Vorbild des Sonnenkönigs. Gott und die Kirche kommen immer vor dem Papst, denn kein Papst hat irgendeine Macht aus sich selbst oder könnte Gehorsam verlangen, wo er selber nicht gehorsam hinter Christus und der Kirche aller Zeiten steht. „Es gibt eben keine ‚franziskanische‘, keine ‚jesuitische‘ und halt auch keine ‚synodale‘ Kirche. Es gibt keine Kirche, die mit sich selber bricht, die die Wurzeln ihrer Tradition kappt und in der ein Papst dafür von den Gläubigen auch noch Gehorsam einfordern könnte.“[14]

Es deutet sich klar ein Paradigmenwechsel in der Kirche an, nachdem mit dem Tod von Papst Benedikt XVI. offenbar die letzte Hemmschwelle gefallen ist. Die Verteidigung der katholischen Morallehre gehört wohl der Vergangenheit an und wird durch ein „harmonisches Wachstum“ zwischen „den verschiedenen philosophischen, theologischen und pastoralen Denkrichtungen“ ersetzt, wie es in einem ungewöhnlichen Brief an den neuen Glaubenspräfekten heißt. 

Die Kirche, die schon länger in bedenkliche Bewegung geraten ist, verflüssigt sich nun durch „Kirchenmänner“, die mit ihr offenbar nicht mehr viel anzufangen wissen, und so egoistisch sind, sie nach ihren Vorstellungen und Wünschen umbauen zu wollen. Der Schritt zur Selbstauflösung ist da nicht mehr weit. Der geistige Horizont in der Kirche, die in Jahrhunderten denkt, scheint bei diesen „Kirchenmännern“ kaum mehr über den eigenen Lebensabend hinauszureichen.  

3. September 2023

P. Peter Mettler MSF, Dr. theol., lic.iur.can.

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[1] Imkamp, Wilhelm. Sei kein Spießer, sei katholisch. München, Kösel, 2013, 77. 
[2] Weigel, Georg. „Weltjugendtage früher und heute“. In: Katholisches Info vom 27. Juli 2023. 
[3] Zitiert nach Moll, Sebastian. „Jedem seinen Jesus“. In: Tagespost. Jahrgang 76, Nr. 33, 17. August 2023, 1. 
[4] Vgl. CNF vom 23. August 2023. 
[5] Weigel, George. Ibidem. 
[6] Grichting, Martin. „Die Kirche und die Inklusion“. In: kath.net vom 02. August 2023. 
[7] Ibidem.
[8] Ibidem.
[9] Kuby, Gabriele. Fürchte dich nicht du kleine Herde. Wenn die Hirten mit den Wölfen tanzen. Fe-Medienverlag, Lisslegg, 2023.  
[10] Meuser, Bernhard. Freie Liebe. Über neue Sexualmoral. Basel, Fontis-Verlag, 2020, 219. 
[11] Ibidem. 297f. 
[12] Papst Benedikt XVI. Deus caritas est
[13] Gerhard Kardinal Müller/Lothar Rilinger. Der Souverän der Kirche ist Gott. Gespräche über Kirche, Philosophie und Politik. Rückersdorf üb. Nürnberg, Lepanto-Verlag, 2023, 57f. 
[14] Heimerl, Joachim. „Im freien Fall: Die Kirche im Zeichen der Weltsynode“. In: kath.net vom 11. Juli 2023.