Zur Frage der Unfehlbarkeit

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Bei der Definition der Unfehlbarkeit spricht das Erste Vatikanische Konzil bewusst nicht von der Unfehlbarkeit des Papstes, sondern vom unfehlbaren Lehramt des Papstes, wie es die gemeinsame Tradition von Ost und West bezeugt.

Unfehlbarkeit bezieht sich nicht auf die moralische Qualität des Papstes und seine Lebensführung, es wird ihm keine persönliche Heiligkeit zugesprochen. Unfehlbarkeit ist keine persönliche Eigenschaft des Papstes.

Das Konzil stellt klar: Das unfehlbare Lehramt bedeute nicht, dass der Papst eine neue Offenbarung empfängt.[1] Diese ist mit dem Tod des letzten Apostels abgeschlossen; sie ist enthalten in der Heiligen Schrift und in Traditionen, die auf die Apostel zurückgehen. Unfehlbarkeit bezieht sich allein auf die rechte Interpretation der Schrift und der Tradition. „Die Vorstellung einer besonderen Verbindung des Papstes zu Gott, durch die ihm neue und nicht überprüfbare Wahrheiten übermittelt werden, ist vom Dogma nicht gedeckt … er ist nicht ‚das Orakel vom Tiber‘.“[2] Die in Christus ergangene und in der Lehre Apostel für alle Zeit normativ vorgelegte Offenbarung kann nicht ergänzt, reduziert, korrigiert oder mit dem Alltagsverstand oder den aktuellen Ideologien kompatibel gemacht werden.

Das päpstliche Lehramt ist nicht inspiriert wie die biblischen Schriftsteller. Es erfreut sich nur des Beistands des Heiligen Geistes, „damit sich in das Glaubensbekenntnis der Kirche kein Irrtum einschleiche, der unser Heil gefährdet. Deshalb ist das Prinzip Roma locuta – causa finita[3] nicht so auszulegen, dass nun einmal einer als Letzter das Machtwort zur Beendigung einer Diskussion haben müsse. Der Papst verfügt auch nicht über ein Geheimwissen, das anderen nicht zugänglich wäre … Die schon entschiedenen Glaubensfragen können auch nicht mit dem Vorwand ihrer Weiterentwicklung ins Gegenteil verkehrt werden.“[4]

Unfehlbarkeit ist keine ständige (ausnahmslose) Eigenschaft (auch nicht der Amtsperson des Papstes), ja nicht einmal seines Lehramtes unabhängig von der Art und Weise seiner Ausübung, sondern einer Prärogative zwar des Papstes selbst, die aber nur fallweise und in einem ganz bestimmten Lehrakt aktuiert wird.[5]

Die Ausübung der Unfehlbarkeit wird an konkrete Bedingungen geknüpft, das heißt sie gilt nicht für die normalen Lehräußerungen, und schon gar nicht für die persönlichen theologischen und anderen Meinungen des Papstes. Die Bedingungen einer päpstlichen „Ex cathedra“-Entscheidung sind:

1. Der Papst spricht und lehrt als oberster Hirte und Lehrer aller Gläubigen, die Bischöfe eingeschlossen.

2. Er verkündet eine Wahrheit des Glaubens und der Sitten, der Moral. Damit wird eine negative Grenze gezogen: Eine Lehre, die weder zum Glaubens- noch zum Sittenbereich gehört, kann vom Papst nicht unfehlbar vorgelegt werden.

3. Die vorgelegte Lehre ist von der Gesamtkirche als endgültig festzuhalten. Diese Endgültigkeit muss klar erkennbar sein. Eine Formvorschrift gibt es aber nicht.

Nur wenn diese Bedingungen gegeben sind, kommt dem Urteil des Papstes aufgrund des ihm verheißenen göttlichen Beistands die der Kirche gegebene Unfehlbarkeit zu. „Er besitzt also keine von der Kirche losgelöste Unfehlbarkeit, sondern übt die der Kirche gegebene Unfehlbarkeit aus; er ist dann authentischer Zeuge des Glaubens der Kirche.“[6]

Auch dieses Dogma ist also wesentlich enger zu verstehen, als dies oft geschieht. Es gab und gibt Tendenzen, es extensiv zu interpretieren, indem man alle päpstlichen Äußerungen mit der Aura sicherer Wahrheiten umgibt, auch über den Bereich von Glauben und Sitten hinaus, was nicht selten zu einer „schleichenden Unfehlbarkeit“ führt, weil Grenzen und Unterschiede verwischt werden.[7] Päpstliche Interviews sind keine verbindlichen Dokumente, die den Glauben der Kirche autoritativ auslegen. „Wenn sich die mediale Aufmerksamkeit für die Kirche weltweit auf den Papst konzentriert, sollte beachtet werden, dass Katholiken an Christus glauben und nur von ihm her das Heil erwarten können und dass der Papst und die Bischöfe nur seine Diener sind.“[8]

1. März 2025

P. Peter Mettler, Dr. theol., lic.iur.can.

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[1] Kaspar, Walter Kardinal, Katholische Kirche. Wesen, Wirklichkeit, Sendung, Freiburg, Herder, 2011, 365.
[2] Neuner, Peter, Der lange Schatten des I. Vatikanums. Wie das Konzil die Kirche heute noch blockiert, Freiburg, Herder, 2019, 67.
[3] Augustinus, serm. 131, 10.
[4] Müller, Gerhard Kardinal, Der Papst. Sendung und Auftrag, Freiburg, Herder, 2017, 331f.
[5] Riedl, Alfons, Die kirchliche Lehrautorität in Fragen der Moral nach den Aussagen des Ersten Vatikanischen Konzils, Freiburg, Herder, 1979, 275.
[6] Kaspar, Katholische Kirche, 365f.
[7] Pottmeyer, Rolle des Papsttums, 91.
[8] Kardinal Müller: Auch Kardinäle können dem Papst „keinen absoluten Gehorsam versprechen“. In: CNA Deutsche Nachrichtenredaktion vom 19. Januar 2024.