Zum 100. Geburtstag unseres Patrons

Warum haben wir gerade ihn gewählt?

„Er hat uns beeindruckt!“ steht als Antwort auf der Internetseite, seit unser Priesterkreis Communio veritatis gegründet wurde. Eine Antwort allerdings, die noch vieles offen lässt. Denn die Eindrücke, die dieser moderne Heilige hinterlässt, sind sehr vielfältig und unterschiedlich – und zudem sehr persönlich. Das, was ich im Folgenden schreibe, sind also nur meine persönlichen Eindrücke, die ich mit der Person dieses heiligen Papstes verbinde, doch gehe ich davon aus, dass sie zum großen Teil von meinen Mitbrüdern im Priesterkreis geteilt werden.

8.12.1987 Rom. Papst Johannes Paul II. feiert anlässlich des Hochfestes der Unbefleckten Empfängnis Mariens
die Heilige Messe in der Basilika Santa Maria Maggiore.

Johannes Paul II. – der Glaubende

„Habt keine Angst! Öffnet die Türen für Christus!“ ruft er den Gläubigen zu. „Du wirst die Kirche ins 21. Jahrhundert führen!“ hat ihm Stefan Kardinal Wyszynski, Vorsitzender der polnischen Bischofskonferenz und Primas von Polen, prophezeit. Und diesen Weg geht Johannes Paul II. mit einem gläubigen Optimismus, der ansteckend wirkt. Ansteckend auch auf viele Jugendliche und junge Erwachsene! Er war zwar nicht der „Erfinder“ der Weltjugendtage, doch ohne sein Plazet, ohne seine Unterstützung, vor allem ohne seine Persönlichkeit wäre wohl nie etwas aus dieser Idee geworden, zumal es zunächst erhebliche Widerstände in und außerhalb der Kirche gab, oder wie in Deutschland völliges Desinteresse. Unvergesslich sind die Bilder, die ihn Hand in Hand mit jungen Leuten auf Weltjugendtagen zeigen. „Öffnet dem Erlöser die Türen!“ war das Motto des ersten Treffens 1984 in Rom. Er biedert sich der Jugend nicht an, schmeichelt ihr nicht, redet ihr nicht nach dem Mund, sondern stellt ihr ehrlich vor Augen, was der Glaube fordert. Trotzdem erkennen sie ihn an, ja sie lieben ihn.

„… alles, was von Gott stammt, besiegt die Welt. Und das ist der Sieg, der die Welt besiegt hat: unser Glaube“ (1  Joh 5,4). Ich bin der festen Überzeugung, dass es letztlich auch sein tiefer Glaube war, der ihn befähigte, einen gewichtigen Beitrag zum Zusammenbruch des osteuropäischen Kommunismus zu leisten. In ihm hatten die Kommunisten – vor allem in Polen – einen Gegner gefunden, der nicht bereit war, klein beizugeben, weil er ihre Taktiken kannte. Es gibt deshalb gute Gründe anzunehmen, dass es kommunistische Geheimdienste waren, die den Versuch unternahmen, ihn bei dem Attentat am 13. Mai 1981 zu beseitigen.

Anläßlich seiner Reise nach Ägypten im Jahre 2000 besuchte der Papst auch das Katharinenkloster auf dem Sinai. Nach einer Klosterbesichtigung zelebrierte er in der Nähe einen Wortgottesdienst. In seiner Predigtmeditation stellte er die Frage in den Mittelpunkt: „Wer bist du, Gott?“ Am Ende des Gottesdienstes faltete der Papst die Hände und schwieg, während die Menschen auf den Schlusssegen warteten. Doch der Papst schwieg weiter – minutenlang. „Endlich begriff ich“, schreibt Andreas Englisch in seinem Buch über Johannes Paul II. „Er wartete auf ein Zeichen. Er war sich absolut sicher, dass Gott ihm eine Antwort geben würde auf all die Fragen der Predigt …, dass Gott es nicht versäumen würde, mit ihm in Kontakt zu treten … Dann beobachtete ich, wie er die Hände faltete, die Augen schloss und leise lächelte … Es war, als ob seine Seele berührt worden wäre, aber nicht leicht, sondern heftig, wie durch einen Blitzschlag. Er sah überglücklich aus und klopfte rhythmisch mit der Hand auf die Lehne seines Sessels … Er blinzelte uns zu und ich verstand die Botschaft: ‚Seht ihr? Er ist hier. Er ist wirklich hierhergekommen, er ist hier. Ich kann es ganz deutlich spüren, ich fühle seine Nähe ganz stark‘ … Freudig und mit einem Lächeln auf den Lippen spendete Johannes Paul II. den abschließenden Segen“ (vgl. Andreas Englisch, Johannes Paul II., Ullstein Verlag Berlin u. München).

Zu seinem Glauben gehört auch unabdingbar seine Liebe zu Maria, der Gottesmutter. Totus tuus (Maria) ist sein Wahlspruch. Nach dem Attentat am 13. Mai 1981 pflegt er eine besonders enge Beziehung zum Wallfahrtsort Fatima, denn die erste Erscheinung Marias geschah dort am 13. Mai 1917.

Johannes Paul II. – Petrus, der Fels

„Du bist Petrus – der Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“ (Mt 16,18)! Der Name ist Programm. Johannes Paul II. war für mich wirklich „Petrus – Fels“. An ihm konnte man sich festhalten, an ihm fand man Halt in einer Zeit, da alles ins Schwimmen zu geraten schien. Dafür wurde er übel angefeindet. Er sei hart, starr, unbeweglich, ein polnischer Sturkopf wurde ihm vorgeworfen. Vor allem Professor Hans Küng tat sich darin hervor. Doch Johannes Paul II. gab nicht nach. Er war kein Revolutionär. Das II. Vatikanische Konzil, an dem er selbst teilgenommen hat, ist ihm Richtschnur und Maßstab; es muss ausgelegt und umgesetzt werden im Licht der beständigen kirchlichen Überlieferung. Eine „Hermeneutik des Bruchs“ war mit ihm nicht zu machen. 1992/93 erschien der Katechismus der Katholischen Kirche, kurz „Weltkatechismus“ genannt, eine Zusammenfassung des überlieferten katholischen Glaubens. Seine Brüder und Schwestern im Glauben zu stärken (vgl. Lk 22,31f.), war für ihn ein unverzichtbarer Teil des Petrusamtes. Petrus bedeutet Fels. Kann man einem Felsen vorwerfen, hart und unbeweglich zu sein? Gehört das nicht sozusagen zu seiner „Aufgabe“? Nur auf einen stabilen Fels kann man bauen, nur daran kann man sich festhalten, damit man nicht fortgespült wird. Ja, der „Fels“ in Rom kann auch brüchig, d. h. feige werden; diese Erfahrung hat schon der erste Petrus an sich selbst gemacht. Aus gutem Grund hat deshalb Benedikt XVI. nach seiner Wahl die Bitte geäußert, man möge für ihn beten, damit er vor den Wölfen nicht zurückweiche. Johannes Paul II. ist nicht zurückgewichen.

Johannes Paul II. – der Beter!

Aus seinem Glauben muss man sein Beten verstehen. Beten ist ja nichts anderes als Eintauchen und Verweilen in der Gegenwart Gottes – mit Verstand und Herz, mit Leib und Seele.

Es gibt viele Fotos, die Johannes Paul II. als Beter zeigen. Bei der Betrachtung wird sofort klar: Hier betet keiner, der eine Schau abziehen oder sich in Szene setzen will. Hier betet jemand, der sich ganz dem Herrn zuwendet und in seine Gegenwart eintaucht. Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass abends zu später Stunde manchmal der Privatsekretär den Papst aus der Kapelle im Apostolischen Palast geholt habe, weil dieser – im Gebet versunken – die Zeit vergessen hatte.

Während seines Pontifikates war es bei der großen Fronleichnamsprozession in Rom Brauch geworden – wahrscheinlich bedingt durch seine zunehmenden Gehprobleme – dass ein kleiner Lastwagen so umgerüstet und hergerichtet wurde, dass auf seiner Ladefläche ein Altar aufgestellt werden konnte; auf ihm wurde die Monstranz mit dem Allerheiligsten ausgesetzt. Links und rechts knieten zwei Diakone; vor dem Altar stand ein Betstuhl, auf dem der Papst in stiller Anbetung vor dem Allerheiligsten kniete. Der Lastwagen fuhr Schritttempo; so konnte der Papst anbetend die Prozession begleiten und mitvollziehen. Es war bei einer Fronleichnamsprozession in seiner letzten Lebensphase. Der Papst konnte nicht mehr knien, sondern saß in einem Sessel auf der Ladefläche. Plötzlich wurde er unruhig, wandte sich an seine Begleitung und bat, ihm auf die Kniebank zu helfen. Seine Begleiter redeten ihm gut zu, er solle doch sitzenbleiben, es sei besser für ihn. Doch da wurde der Pontifex energisch: „Da ist Jesus; ich will knien.“ Mit Mühe schafften sie es, ihn in kniender Haltung auf den Betstuhl zu bringen. Doch seine Beine, sein Körper waren zu schwach; nur kurz dauerte die kniende Anbetung; dann mussten sie ihn in seinen Sessel zurücksetzen. Johannes Paul II. – der Beter!

Johannes Paul II. – der Leidende und Kreuztragende

„Das Kreuz ist keine Würde auf dem Bauch, sondern eine Last auf dem Rücken!“ eine etwas saloppe und provokante Bemerkung von Hans Küng. Doch wie wahr sie ist, zeigt sich an Papst Johannes Paul II. Auch dabei stoßen wir wieder als Grund auf seinen Glauben.

Johannes Paul II. war ein zutiefst „leidenschaftlicher“ Mensch. Wenn man die Fotos von den ersten Jahren seines Pontifikates betrachtet und sie mit Bildern aus seiner letzten Lebenszeit vergleicht, dann kann man seinen Leidensweg nachvollziehen. Da ist zunächst der verschmitzt lachende, sportlich agile Heilige Vater, den eine deutsche Illustrierte (wenn ich mich recht erinnere, war es „Der Stern“) „Eiliger Vater“ tituliert und damit auf seine rege Reisetätigkeit anspielt. Dann kommt das Attentat am 13. Mai 1981; nur um Haaresbreite verfehlt die Kugel aus der Pistole des Attentäters lebenswichtige Organe. Zwar gelingt die Notoperation, doch nach einer so schweren Verletzung stellen sich unvermeidlich später mehr oder weniger schmerzhafte Nachwirkungen ein. Wie oben schon erwähnt, ist der 13. Mai auch das Datum der Ersterscheinung der Muttergottes in Fatima (1917). Für den Papst steht danach fest: Die Muttergottes hat ihn beschützt. Später lässt er die herausoperierte Pistolenkugel in die Krone der Marienfigur in Fatima einfügen. 1992 muss er sich einer komplizierten Darmoperation unterziehen; 1994 stürzt er schwer und bekommt ein künstliches Hüftgelenk. Immer gebeugter wird seine Gestalt, immer mühsamer sein Gehen. An seinem 83. Geburtstag wird vom Vatikan offiziell bestätigt, was viele schon länger vermuteten: Der Papst leidet unter der Parkinson-Krankheit. Zum körperlichen kommt das seelische Leiden: die Glaubenskrise in der Kirche, das Abdriften der akademischen Theologie aus der Glaubenstradition der Kirche, die Auseinandersetzung mit der Deutschen Bischofskonferenz um den Schwangerschafts-Beratungsschein, der Beginn der Krise um sexuellen Missbrauch an Minderjährigen u. a. Der Papst war wohl zu gut, um ganz zu begreifen, was für ein Sumpf da unter der Oberfläche brodelte. Leuten, die ihm – gutgemeint – nahelegen, zurückzutreten oder die Dinge ruhiger anzugehen, soll er geantwortet haben, er werde nicht vom Kreuz herabsteigen, und im Himmel könne er sich noch genug ausruhen. Gegen Ende seines Lebens ist auf seiner gebeugten Gestalt immer das Kreuz gegenwärtig (man meint es fast zu sehen), mit dem er seinem Herrn nachfolgt. Für Johannes Paul II. war das Kreuz nie eine Würde auf dem Bauch, sondern eine schwere Last auf seinem gebeugten Rücken.

Papst Johannes Paul II, für dessen Heiligsprechung sofort nach seinem Tod viele Menschen mit „Santo subito“ demonstrierten – es ließe sich noch so viel über ihn sagen und schreiben! Hier soll es genug sein!

Ja, er hat uns beeindruckt, dieser Johannes Paul II.
als Glaubender,
als wahrer Fels,
als Beter,
als Leidender und Kreuztragender.

Pfarrer Manfred Rauterkus