Offener Brief an Erzbischof Hans-Josef Becker

Hochwürdiger Herr Erzbischof!

Einen herzlichen Gruß an Sie, verbunden mit dem Wunsch, daß Gottes Segen und sein Heiliger Geist Sie allzeit in Ihrem schweren Amt begleiten mögen.
Ich schreibe Ihnen diesen Brief, weil mir in der letzten Zeit immer klarer geworden ist, dass die Kirche in eine Katastrophe taumelt. Dazu haben inzwischen auch Kardinal Marx und Bischof Bode beigetragen, die wohl der Meinung sind, sie müßten sich auch tatkräftig an der Verschleuderung des katholischen Glaubens beteiligen.
Konkret gesprochen: Es geht mir um Amoris Laetitia (A.L.) und die Ausführungs­bestimmungen in unserer Erzdiözese zum Sakramentenempfang von Geschiedenen und Wiederverheirateten und betrifft damit Ihren Brief vom 6. Januar 2018.
Sie sprechen darin davon, dass A.L. ein großes Geschenk sei. Sicher enthält A.L. vieles Schöne und Wertvolle, das es zu bedenken und bewahren gilt, aber Ihre allgemeine Wertschätzung kann ich nicht teilen. A.L. hat mir theologische und spirituelle Probleme und Zweifel beschert, wie ich sie nie zuvor hatte. Nicht nur, dass bei den Ausführungsbestimmungen zu A.L. von Seiten der Bischöfe in Europa und in der Weltkirche das Chaos herrscht (und Franziskus nichts tut, um dem entge­genzusteuern), sondern v. a. dass A.L. – zusammen mit diesen Ausführungsbestimmungen z. B. in unserer Erzdiözese – eindeutig ein Bruch mit der ständigen Überlieferung der Kirche ist. Ja, es ist eindeutig ein Bruch! Zu behaupten, es sei eine „Fortentwicklung der Lehre“, ist eine verlogene Ausrede, die auch nicht dadurch besser wird, dass zwei hochrangige Kardinäle sie verbreiten.
Alles spitzt sich auf die Frage zu: Wie kann eine Lehre, die auf einer zweitausendjährigen Tradition beruht und von den letzten Päpsten so nachdrücklich bestätigt wurde wie kaum eine andere, von heute auf morgen geändert werden? Wer verkündet denn nun die „authentische Lehre der Kirche“? Haben die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. sie verkündet? Dann dürfen wir A.L. mit Kapitel 8, Anmerkung 351 und die darauf bezogenen bischöflichen Ausführungs­bestimmungen nicht befolgen. Kommt jedoch erst mit A.L. von Franziskus die authentische Lehre, dann hätte die Kirche zweitausend Jahre lang die Menschen betrogen. Dann wäre die Lehre, dass Gottes Geist die Kirche und ihr Lehramt leitet, widerlegt.

Es sind nicht wenige Priester, Herr Erzbischof, welche die Lehre der Kirche, wie sie uns von den letzten Päpsten überliefert wurde, getreu ihrem Amtsgelöbnis verkündet haben. Das hat ihnen fast nirgendwo Lob eingebracht. Oft wurden sie dafür angegriffen und beschimpft. Was ist das für eine Kirche, die ihnen jetzt den Boden unter den Füßen wegzieht und sie blamiert! Was ist das für eine Kirche, die uns auf Gehorsam gegenüber dem Lehramt verpflichtet, uns dann aber im Regen stehen und die triumphieren lässt, die sich nie an irgendwelche lehramtliche Verkündigung gehalten haben! Ich fasse es nicht mehr!

Wenn das Lehramt mit sich selbst in Widerspruch gerät, wenn es keine Kontinuität mehr bietet, kann es auch keine Verbindlichkeit mehr beanspruchen; es ist nur noch eine theologische Stimme unter vielen anderen, also praktisch abgeschafft. Das aber heißt, Herr Erzbischof, und es tut mir leid, dass ich es sagen muss: Mit Amoris Laetitia und ihren Folgen geht die katholische Kirche einen großen Schritt weiter auf dem Weg zur Protestantisierung.
Von A.L. und den dazu gehörigen Ausführungsbestimmungen in unserer und anderen Diözesen geht eine fatale Botschaft aus: Halte dich nie an das Lehramt der Kirche, sonst wirst du blamiert. Damit geht einher, daß auch die „Diktatur des Relativismus“ weiter in die katholische Kirche eindringt. „Keine Dogmatik,“ heißt es, „mehr Pastoral!“
Die Wahrheit wird nebensächlich. Die Scheußlichkeit und Niedertracht des Ehebruchs kommt nicht mehr zur Sprache; es gibt nur noch „Gescheiterte“. So geht der Ausverkauf und die Verschleuderung der Wahrheit immer weiter.

Aus Ihrem Brief, Herr Erzbischof, lese ich, dass es bei der Zulassung von Geschiedenen und Wiederverheirateten zur Kommunion auch nicht mehr um die vielbeschworeren „Ausnahmen“ geht, sondern dass alle, die eine Beratung in Anspruch genommen haben, sei es bei einem Heimatseelsorger oder bei Seelsorgern/Seelsorgerinnen in einem der Kooperationsräume, grundsätzlich selbst in ihrem Gewissen entscheiden, ob sie zur Kommunion gehen oder nicht. Die Beratung ist also sozusagen „ergebnis-offen“. Hier wird die persönliche Gewissensentscheidung über das Gebot Gottes gestellt. Können Sie das verantworten? Nicht zuerst das Gewissen entscheidet, ob wir zu Gott in den Himmel kommen, sondern dass wir seine Gebote befolgen. Der Weg zur Verklärung führt immer bergan, nie bergab. Niemals kann man die persönliche Gewissensentscheidung gegen ein Gebot Gottes in Stellung bringen. Außerdem weiß doch jeder, wie fehlgeleitet die Gewissen der Menschen, auch der Katholiken, heute sind.

Vielen verantwortungsvollen Priestern graut es davor, jedem/jeder Ehebrecher/in, auch den miesesten, die Kommunion reichen zu müssen, denn das wird die unvermeidliche Folge sein. Wahrscheinlich werden nur relativ wenige zur seelsorglichen Beratung kommen, aber (fast) alle werden zur Kommunion gehen; denn es wird heißen: „Was die einen dürfen, darf ich auch.“ Welcher Priester wird dann den Mut haben zu widersprechen! Wer kann und darf dann überhaupt noch widersprechen?
Immer wieder hört man das Argument: Die Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe wird nicht angetastet. Ich halte das für billiges Geschwätz und kann darüber nur den Kopf schütteln. Man braucht keine Prophetengabe, um sicher voraussagen zu können, dass die „unauflösliche Ehe“ in spätestens zwanzig Jahren nur noch eine graue Theorie ist, eine Lehre, die man getrost aufs Abstellgleis schieben kann und nur noch Museumswert hat; jeder Priester, der es wagt, sie noch zu verkünden, muss damit rechnen, fertiggemacht zu werden. Und Jesu Wort über Ehe und Ehescheidung in Mk.10,5-12 par. wird man wegen „Diskriminierung“ Geschiedener und Wieder­ver­heirateter geflissentlich übergehen (müssen). Man kann eben nicht Seelsorge im Widerspruch zur Lehre praktizieren.

Hochwürdiger Herr Erzbischof! Ich habe Ihnen diesen Brief geschrieben, weil ich es für meine Pflicht halte, Ihnen meine Sorgen und Bedenken über die gegenwärtige Situation mitzuteilen. Und aufgrund dieser Bedenken steht für mich fest: Ich werde mich auch weiterhin an die Lehre des heiligen Papstes Johannes Paul II. halten, die dieser zum Kommunionempfang von Geschiedenen und Wiederverheirateten in „Familiaris Consortio“ verkündet hat.

Die Kirche ist in einem fürchterlichen Zustand. Das „depositum fidei“ wird verschleudert, Kirchen und Liturgie werden für Karnevalsklamauk entweiht, die Ehrfurcht vor dem Herrn in der Eucharistie tendiert gegen Null, Gott ist an den Rand gedrängt und wird immer weniger wahrgenommen, usw. usw. So haben sich die Väter des II. Vatikanums „die Kirche in der Welt von heute“ sicher nicht vorgestellt, und an dem gewiss zuerst gut gemeinten „Aggiornamento“ ist die Kirche krank geworden. Zur Zeit frage ich mich: Wo ist Gottes Geist, der doch angeblich die Kirche führt? Ist der Herr nicht mehr im Boot? Ich möchte daran auch weiterhin glauben, aber es fällt mir manchmal sehr schwer; letzlich kann mich nur noch an das Gebet klammern.
Und ich bete auch für Sie.

Mit herzlichen Grüßen
Pfarrer Manfred Rauterkus