Von der Bedeutung des Stundengebetes

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Seit der Fleischwerdung des Wortes Gottes in Jesus Christus muss auch das „Gegenwort“, die Antwort des Menschen, in seinem Leibe sichtbar werden. Der unsichtbare Glaube bedarf der Sichtbarmachung durch den Leib des Menschen.

Nur, wenn ich das biblische Kirchenverständnis habe, werde ich die tiefe Bedeutung des Stundengebetes erahnen. Die Heilige Schrift spricht vom Leib Christi und von der Braut des Herrn. Wir hören von dem einen Leib und den vielen Gliedern mit verschiedenen Berufungen und Aufgaben.

Am einfachsten erschließt sich das Verständnis über die Präfation und das Sanctus der Messe. Darin preisen wir Gott mit allen Engeln und Heiligen, den Cherubim und Seraphim, mit den Thronen und Mächten, den Scharen der Engel und Erzengel und dem gesamten himmlischen Heer und stimmen ein in ihren Lobgesang.

Das Stundengebet ist das Einschwingen der Seele in den ewigen Lobpreis Gottes der Engel und Heiligen. Die Vertreter der Kirche, die mit Leib und Seele ganz in ihren Dienst berufen wurden, sollen die Worte der Schrift ernst nehmen: „Betet ohne Unterlass!“.
Gebet im Sinne, dass Gott letztlich alles in allem ist. Zum Lobe Gottes ist die Welt erschaffen. Unvorstellbar ist die Vielzahl ihrer Pflanzen, Tiere und Menschen. Die Größe des Weltalls – für Gott winzig klein.

Der Lobpreis der Heiligen kennt keine Begrenzung von Raum und Zeit. Das Stundengebet ist eben kein Privatgebet. Wie die tägliche Heilige Messe der Herzschlag der Kirche ist (und auch für den Priester sein sollte), so ist das Stundengebet der Widerhall dieses Schlages im Tagesverlauf. Das Einschwingen der Tageszeiten in den ewigen Lobpreis Gottes.

Mit dem Tod und der Auferstehung Christi hat ja das Endgericht über diese Welt begonnen. Die Trennung zwischen Himmel und Erde ist aufgehoben. So kann sich der Lobpreis derer, die noch hier auf der Erde leben, mit dem Lobgesang derer, die schon im Himmel sind, zu einem einzigen Lobpreis vereinen. Ein Christ, der nur das Bittgebet kennt, steht in der Gefahr, Gott als Erfüller seiner eigenen Wünsche zu begrenzen. Gerade in der Zweckfreiheit liegt ja die Größe des Gebetes. Wir erkennen die Größe des uns unendlich liebenden Gottes an.

Am besten hat unsere Mystikerin aus Minden, Gertrud von le Fort, die Bedeutung des Stundengebetes erfasst:

„Wenn die Städte noch auf ihrem Fieberbett schlafen
und die dumpfen Dörfer im Brodem der Felder versinken,
Wenn die Tiere sich noch nicht regen
und die Einsamkeit des Herrn auf der Welt lagert,
Dann erhebst du deine Stimme in den Schatten,
wie der Geist sich erhebt in der blinden Materie.
Du schüttelst die Traumheit von deinen Gliedern
und ringest im Dunklen mit dem Grauen der Stunde.
Denn die Sünden der Nacht sind wie giftige Dünste,
und der Schlaf der Wesen ist wie Todesschwere:
Es weiß niemand, ob es wieder Tag wird.
Aber du entzündest deine Seele,
dass sie der Morgenröte voraneilt wie ein Strahl der Hoffnung.
Du fällst vor dem Herrn nieder, bevor der Tau fällt.
Du jubelst dein Herz zu ihm auf, ehe die Lerchen steigen,
du jubelst alle Furcht hinweg im Preise deines Schöpfers.
Du wäschst das Angesicht der Erde in deinen Liedern,
du badest es in deinem Gebet, bis es ganz rein ist,
Du wendest es dem Herrn zu wie ein neues Antlitz!
Und der Herr bricht aus seiner Einsamkeit
und empfängt dich mit Armen des Lichtes –
da erwacht alle Welt in seiner Gnade.“
(Hymnen an die Kirche, Das Beten der Kirche II)

Pfarrer Udo Scholz