Höchste Zeit für Klartext

Gastbeitrag von
Klemens Hogen-Ostlender

Vor 34 Jahren hat der heilige Papst Johannes Paul II. Marokko besucht. Während der beiden Tage, die Franziskus nun dort verbrachte, sind gravierende Unterschiede zwischen beiden Reisen deutlich geworden – aber nicht nur zwischen ihnen. Differenzen sind auch zutage getreten zwischen Glaubensinhalten, die in der Schrift verankert sind, und sorgsam gewählten Formulierungen des aktuellen Besuchers, die nicht als ad-hoc-Bemerkungen während einer fliegenden Pressekonferenz zu erklären sind.  Im 20. Kapitel des Buches Exodus steht es zum Beispiel so: „Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. “ Nun bekamen wir einen ganz anderen Gott präsentiert.
Einen Gott, der nicht mehr Gebote gibt, sondern angeblich  „mit jeder Frau und jedem Mann in jedweder Lebenssituation“ einen Dialog  aufnehmen will. Wie soll man das verstehen? Dialog meint ergebnisoffene Rede und Gegenrede. Will Gott nun mit uns darüber diskutieren, welche Gebote wir halten können und welche uns nicht zuzumuten sind? Hat nicht das Konzil von Trient die Behauptung verworfen, die Gebote Gottes seien zu schwierig, um sie zu halten? Dialog ist ein  Schlagwort, mit dem heute viele versuchen, Glaubensinhalte aufzuweichen. Wer will schon als Dialogverweigerer dastehen? Aber ist aus der viel beschworenen Dialogkultur nicht längst ein Dialogkult geworden? Ein Kult wie der um das Goldene Kalb, das auch einem Dialogprozess entsprang, nämlich dem Dialog zwischen dem mit Mose unzufriedenen Volk Israel und Aaron? Und ist es nicht auch Dialogverweigerung, sich eines Vorrats an Begriffen zu bedienen, deren Inhalt man ständig wandelt?  Proselytenmacherei zum Beispiel scheint eine von Franziskus´ Lieblingsvokabeln zu sein.
Er setzte sie auch in Marokko in Gegensatz zur Mission und knüpfte damit an seine häretische Formulierung von der angeblich gottgewollten Pluralität der Religionen an . „Proselyt“ ist abgeleitet vom griechischen προσήλυτος (Hinzugekommener).  Proselytenmacherei ist ein Negativbegriff für das Gewinnen von Menschen anderer Religionen für das Christentum. Proselytenmacherei wäre demnach auch die Aufforderung „Geht hinaus in die ganze Welt, und  verkündet das Evangelium allen Geschöpfen! Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden (Mk 16, 15 – 16).“ Ist das nicht geradezu rigide?  Der Evangelist Markus hat  diese Aufforderung aber als Christi Missionsbefehl überliefert, als dessen eigene Worte. Soll dieser Befehl nun mit dem Schlagwort Proselytenmacherei, das nie konkret definiert wird, ausgehebelt werden?
Die Ansprachen während der Reise bekamen aber auch durch einen anderen Kunstgriff einen ganz besonderen Drall: durch das Weglassen von Informationen, das Zusammenhänge verschleierte. Zum Beispiel  bei der Erwähnung der Reise des Franziskus von Assisi zu Sultan al-Malik al-Kamil vor 800 Jahren. Kardinal Bergoglio hatte ja schon durch die Wahl seines neuen Namens versucht, sich in Kontinuität zu diesem Heiligen zu setzen. In Marokko bemühte er sich, die Begegnung im Jahr 1219 als Akt des interreligiösen Dialogs nach heutigem Muster darzustellen, als Beweis des Muts, einander zu begegnen und sich die Hände zu reichen auf einem wie auch immer gestalteten Weg des Friedens und der Harmonie. Nichts könnte missverständlicher sein als das. Der heilige Franziskus von Assisi reiste unter Lebensgefahr zum Sultan, um ihn und sein Volk zum Christentum zu bekehren.
Er predigte mit seiner ganzen Glaubensbegeisterung über die Heiligste Dreifaltigkeit, über Jesus Christus als einzigen Weg zur Erlösung. Sein Biograf Bonaventura hat geschildert, was der Ordensvater der Franziskaner vorschlug, um den Sultan zu überzeugen: „Wenn du dich mit deinem Volk zu Christus bekehren willst, will ich aus Liebe zu ihm gern bei euch bleiben. Solltest du aber Bedenken tragen, für den Glauben an Christus das Gesetz des Mohammed zu verlassen, dann lass ein großes Feuer anzünden; dann werde ich mit deinen Geistlichen ins Feuer hineingehen, damit du wenigstens dadurch erkennen mögest, welchen Glauben man mit mehr Recht als sicherer und heiliger festhalten muss.“ Al-Malik al-Kamil scheute vor dieser Feuerprobe zurück. Franziskus von Assisi ist als einer der größten Heiligen der Kirchengeschichte zur Ehre der Altäre erhoben worden. Ist der Versuch glaubwürdig, ihn 800 Jahre später als Vorläufer der eigenen Vorstellung von Kirchenpolitik hinzustellen, seine Handlungsweise aber gleichzeitig als Proselytenmacherei zu verunglimpfen?
Ein letztes Beispiel: In der Begegnung mit Migranten zog der Besucher eine gewagte Parallele. Den Versuch, die Einreise nach Europa unter geregelte gesetzliche  Verhältnisse zu stellen, verglich er mit der „Spannung, die seit Kain und Abel in uns existiert“  und kriminalisierte Andersdenkende durch den folgenden Vergleich mit dem Urverbrechen gegen Gottes Willen: „Es scheint, dass die Frage des Brudermörders immer wieder laut wird: Bin ich etwa der Hüter meines Bruders?“
Als der heilige Papst Johannes Paul II. 1985  Marokko besuchte, hat auch er von Demut und Respekt gesprochen, mit denen sich Christen und Moslems begegnen sollten. Er hat aber auch betont, die Redlichkeit  gebiete es, die Differenzen zwischen Christen und Muslimen nicht zu verschweigen, und er bekräftigte: „Die grundlegendste ist klarerweise die Sichtweise, die wir der Person und dem Werk des Jesus von Nazareth entgegenbringen. Ihr wisst, dass für die Christen dieser Jesus dieselben in eine innerste Kenntnis des Geheimnisses Gottes und in eine kindliche Gemeinschaft mit Seinen Gaben eintreten lässt, so dass sie Ihn als göttlichen Herrn und Erlöser anerkennen und verkünden.“