Kirche als amazonisches Biotop

Gedanken zu den sogenannten reformerischen Bestrebungen in der „Deutschen“ Kirche

Kirche als menschliches Machwerk

Boote am Amazonas. 
Novo Airao, Amazonas, Brasilien.
José Luiz Filho
Lizenz: CC-BY-SA (2.5., 2.0 und 1.0)

Wer die Diskussion um das völlige Anderswerden der Kirche, das uns die Hinwendung nach Amazonien bescheren soll, verfolgt, wird merken, dass die Kirche in den Augen derer, die ihr eine ganz neue Gestalt geben wollen, mehr als Artefakt denn als ein organisches Ganzes mit einer inneren Formbestimmtheit erscheint. Während von Natur aus Daseiende oder durch Zeugung bzw. Geburt Hervorgehende eine strenge innere Einheit und Formbestimmtheit, eine aus ihrem Wesen resultierende Teleologie und Eigenbewegung aufweist, ist dies bei den Dingen, die der Mensch herstellt, den Artefakten, ganz anders:

Artefakte haben kein eigenes Prinzip der Bewegung in sich, sondern außerhalb ihrer selbst, so sagten wir. Artefakte der modernen technischen Welt (Uhren, Autos, Regelkreise) vollziehen zwar eine Eigenbewegung; diese findet ihren Ursprung jedoch nicht in ihnen selbst und verwirklicht auch keine in ihnen selbst gelegene Zweckbestimmung. Sie werden durch äußere Wirkursachen angetrieben und dienen einem Zweck, den der Mensch mit ihnen verfolgt. Was menschliches Herstellungswissen zu realisieren sucht, liefert Kalküle, Strategien, Reproduktionen und Kommerzialisierungen, die den Dingen selbst äußerlich bleiben. Externe Zweckbestimmungen schaffen daher „virtual realities“, die vom lebensweltlichen Kontext abgehoben sind.

Es ist bei Theologen und kirchenpolitisch beflissenen Angehörigen des Episkopats zum latenten Paradigma geworden, die Kirche als ein Artefakt zu betrachten, das aus menschlicher Planung hervorgeht und das je nach gesellschaftlichem Kontext und zeitgenössischer Lage  – einem externen Kalkül gehorchend – eine je andere Formgebung erfahren kann. Man hat die vage Idee, Kirche sei entstanden, weil Menschen irgendwann eine verfassungsgebende Versammlung einberufen und darüber beraten haben, welche Struktur und Organisationsform denn diese gesellschaftliche Vereinigung erhalten solle, mit der man den weitaus größeren Teil der Menschheit auf den Weg zu vermehrtem Lebensglück, Gelingen des Daseins, therapeutischer Überwindung von Lebenskrisen und Pathologien bringen wolle, einer Organisation, die für die antagonistischen Kräfte in den demokratischen und post-demokratischen Gesellschaften den nötigen moralischen Kitt liefern möge, auf dass die Einheit im Staate und das friedliche Miteinander aller Beteiligen gewährleistet werde. Vor diesem Hintergrund erscheint alles, was an festen Traditionen überkommen und geronnenes Dogma oder fixierte amtliche Struktur geworden ist, als prinzipiell zeitbedingtes, auflösbares, korrigierbares Moment, das einer immer neuen Formgebung harrt.

Dagegen war noch die lukanische Vision über das Entstehen der Kirche eine ganz andere: Die Ekklesia ist die von Gott selbst zusammengerufene, aus dem alten Israel entstehende Gemeinschaft von Glaubenden, die in der Gemeinschaft der Apostel, im Verein mit Maria, zu einer nie gekannten inneren Einheit finden. Die Kirche wird nach der großartigen Schilderung in Apg 2 nicht von Menschen gemacht, die sich als Organisation zusammentun wollen, sondern Kirche wird von oben „geboren“. Sie ist nicht Artefakt, sie hat teil an dem christologischen „genitum, non factum“. Dazu gehört das ihr von Christus eingestiftete, unverfügbare Wesen, das sich in ihrer sakramentalen Verfasstheit mit dem, was ab Apostolis traditum ist, ausdrückt: die Taufe, das sakramentale Amt, die Apostolizität, die regula fidei. All dies entzieht sich dem Zugriff einer episkopalen Despotie der Willkür, die sich zur norma normans des Kirchseins aufschwingen möchte.

Wenn man die Kirche nicht mehr als göttliche Gründung und lebendigen Organismus mit innerer sakramentaler Formgebung auffasst, sondern als menschliches Artefakt, verwundert es nicht, dass heute gewisse Hoftheologen der römischen Kurie und deutsche Reformeiferer die Kirche als eine amorphe Masse ohne im Willen Christi verfügte Formbestimmtheit und Struktur begreifen, als ein menschliches Artefakt, das je neu nach der Vorgabe des Mainstreams von außen mit wechselnden Bestimmungen zu versehen ist. Den Planern der Amazonassynode geht es in der Zielrichtung um kirchenpolitische Konsequenzen, die auf eine Ummodelierung  der Kirche in ihrer sakramentalen Struktur hinauslaufen – eine Umformung, die sich daraus ergibt, dass Theologen wie sie dieser bloßen Masse an kirchlichem „Urstoff“ ihre Daumen aufdrücken, um sie nach eigenem „Bild und Gleichnis“ zu gestalten.

Amazonien

Die im Instrumentrum Laboris für die Amazonassynode gemachten Vorgaben lassen darauf deuten, dass Kirche einer neuen, externen Zweckbestimmung unterworfen werden soll: Ein schwärmerisches illusionäres Bild vom reinen Uranfang der Menschheit bei den indigenen Völkern des Amazonasgebietes, zusammen mit einem gebieterischen und hysterischen Panökologismus, wird als Typus einer dezentralisierten, von der Last der Tradition freigewordenen, sich selbst neu definierenden Kirche auf die Fläche des Bewusstseins projiziert. In seiner Schilderung der Vorgänge im gegenwärtigen deutschen Episkopat bemerkt Kardinal Müller dazu: „Wenn man in der Gesamthermeneutik des Christentums nicht mehr bei der geschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes in Christus ansetzt, sondern die Kirche und ihre Liturgie einordnet in eine mythologische Sicht auf das Ganze der Welt oder sie zu Funktionen eines ökologischen Programms zur Rettung unseres Planeten macht, dann hängt die Sakramentalität und insbesondere das Weihe-Amt von Bischöfen und Priestern in der apostolischen Nachfolge in der Luft.“

Die neu projektierte Kirche mit aufgeweichter Ämterstruktur und verflüssigter Dogmatik, für die die soziologischen Organisationsformen amazonischer Volksstämme Pate stehen sollen, hat nach meinem Dafürhalten wenig bis gar nichts mit den im Amazonasgebiet lebenden Menschen zu tun, deren Leben sich im Rahmen von überkommenen Traditionen, Riten und Tabus bewegt. Meine vielfältigen Kontakte in Südamerika, wo ich seit 12 Jahren in der Kirche tätig bin, bestätigen mir, dass das Experiment der Befreiungstheologie längst gescheitert ist und nach Neuorientierung und Ausrichtung an der Tradition der Kirche mit der Vollgestalt ihres Glaubens verlangt. Wie mir Bischöfe der jüngeren Generation in Peru gesagt haben, ist durch die Befreiungstheologie, die man nun in ökologischer Variante zu reanimieren versucht, ein riesiges Vakuum an Sinn und Glaube entstanden: „Die Befreiungstheologie hat nur eine einzige Wüste hinterlassen.“ Heute müssen sich apostolisch gesinnte und missionarisch ambitionierte Bischöfe daran abarbeiten.

„Amazonien“, so wie es in diesen Tagen in Rom gehandelt wird, ist kein originäres Produkt der indigenen Bevölkerung des Amazonasgebietes; es ist deutsch-österreichische (Erwin Kräutler) Importware. Das eigentliche Zielgebiet der zu erringenden verheißenen Neuerungen für die Kirche und ihre Ämter sowie ihre hierarchische Struktur dürfte denn wohl auch in Germanien liegen.

Die Dekonstruktion des sakramentalen ehelosen Priestertums

Gesundes Misstrauen wird sich fragen: Liegt die Zielbestimmung des ekklesialen Amazonien nicht nördlich der Alpen, wo man sich beim Schwinden der gesellschaftlichen Relevanz und Akzeptanz von Kirche des Ballasts des zölibatären Priestertums entledigen will? „Amazonien“ könnte der Hebel sein, auch in Deutschland endlich den Griff in die Mottenkiste zu tun und die viri probati einzuführen, wo der Zölibat keine gesellschaftliche Akzeptanz mehr hat und viele verheiratete Theologen bereitstünden, um als Priester die Lücken im zölibatären Klerus zu füllen. Ich sehe schon die Heerscharen der männlichen Funktionäre in den kirchlichen Organisationen und den Pastoralämtern antreten, um die Handauflegung zu empfangen, damit Kirche ein anderes Aussehen gewinnt und wieder, sei es denn auch in säkularisierter Form, überall präsent sein kann, auf dass die Neigung, weiterhin die Kirchensteuer zu zahlen, bei der jüngeren Generation nicht vollends gegen Null konvergiere.

Sie sagen: Es gibt doch schon ein verheiratetes Priestertum in der katholischen Kirche, und zwar bei den mit Rom unierten Kirchen des Ostens, die nicht den lateinischen Ritus haben. Und siehe: Dort steht dies ja dem sakramentalen Amt nicht entgegen!

Man sollte jedoch nicht vergessen, dass es in jenen Kirchen um tief in der alten Tradition der Kirche aller Jahrhunderte verankerte Gläubige geht, die durch den Vollzug ihrer Liturgien und die Verwurzelung in einer traditionellen Spiritualität eine Resistenz gegenüber der Verweltlichungstendenz aufweisen, wie sie für die westlichen Kulturkreise üblich ist.

Übertragen auf die Situation in der westeuropäischen und nordamerikanischen Kulturlandschaft und gesellschaftliche Lage, würde ein solches Modell eines verheirateten Klerus jedoch sofort zu einer weiteren Selbstsäkularisierung der Kirche führen, die alle bekannten negativen Erscheinungsformen des Protestantismus bei sich hätte. Ein Blick auf die getrennten evangelischen Brüder wird jeden davon überzeugen, dass mit einem verheirateten Klerus nichts gewonnen wäre, wenn man es der Kirche zutrauen will, die Lage des Glaubens zu verbessern. Allenfalls wären die Gemüter einiger Prälaten beruhigt, die sich doch allzu sehr darum sorgen, dass die Distanz des kirchlichen Selbstverständnisses und ihrer Verkündigung zu dem, was „man“ heute für normal und akzeptabel hält, zu groß werde. Man würde dem Mainstream unserer Gesellschaft demonstrieren: Auch wir sind ganz nach dem Modell demokratischer Gesellschaften organisiert. Wir sind auch nur von hier. Wir halten euch keinen Raum der Transzendenz offen!

Deshalb finden sich unter den „reformwilligen“ Bischöfen nicht wenige, die finden, um dieses Von-hier-Seins willen das Anstößige und Sperrige an der Kirche, worunter vor allem das sakramentale Amt in der jetzigen Form, die normative Ethik (moralische Unbedingtheiten: praecepta negativa) und fixierte Dogmatik gehören, aufzugeben. Also damit würde man den Weg der Selbstsäkularisierung statt der von Papst Benedikt geforderten Entweltlichung forcieren, in der Hoffnung, dass die Welt dem Beifall zollt.

Demgegenüber liegen die Quellen einer wahren pastoralen Erneuerung der Kirche in der Konzentration auf das Wesentliche,  in der größeren Klarheit der auf der Offenbarung fußenden Verkündigung und in der Erweckung eines neuen missionarischen Bewusstseins.